Hubert Bergmann Essay: “Klang eines verschwundenen Kontinuums – Zur Aktualität des Wirkens von György Szabados” (Zeichnungen: Zoltán Bicskei)

Posted by Rudolf Kraus

Präludium

(zu dem Bild der St. Galler Neumen, welches wie eine Tontafel wirkt….)

 

„….es gab historisch keinen Bundesschluß am Sinai, [….] es gab keine Übergabe von Gesetzestafeln durch Gott an den Mose auf einem Berg Sinai.- Ja […] es gab auch keine Anfertigung des Goldenen Kalbs durch die Mose – Leute oder sonstige Sinaibeduinen“ [1]

 

[1] aus: Erich Zenger, Israel am Sinai ,CIS Verlag, Zitat in:Im Schatten des Sinai v. Peter Sloterdijk, Suhrkamp Verlag 2013

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 St. Galler Neumen – geschrieben zwischen 922 und 926 n. Chr.

Hubert Bergmann: 

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Bergmann – Guantes DUO
Hotel Tannerhof Bayrisch Zell
26.09.2015
Kamera: Miro C. A. Weber
www.silbersee.tv

Aber was heißt denn ein bloßes Spiel, nachdem wir wissen, dass unter allen Zuständen des Menschen gerade das Spiel und nur das Spiel es ist, was ihn vollständig macht und seine doppelte Natur auf einmal entfaltet?
(Friedrich Schiller) [1]

 

Alle Methode ist Rhythmus: hat man den Rhythmus der Welt weg, so hat man auch die Welt weg. Jeder Mensch hat seinen individuellen Rhythmus. – Die Algeber ist die Poesie. Rhythmischer Sinn ist Genie.
(Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, NOVALIS)  [2]

 

DUX [3]

……Die permanente Improvisation war ein schöner Begriff solange Musiker ihn benutzt haben, aber wenn es zum Grundbegriff der Politik wird, dann wird einem unheimlich zu Mute […] ….alle sind heute zur Improvisation verurteilt ..“
(Peter Sloterdijk) [4]

 

 

COMES

„….Die Improvisation ist das Wunder in dem die Ewigkeit auch heute zu erleben ist [5]…die heimatliche Offenherzigkeit und der genaue, jedoch freie Besitz der Töne […] Eine Wiedereinkehr in uns selbst und hinaus in das Zeitlose Universum…“ [6]
(György Szabados)

[1] Über die ästhetische Erziehung des Menschen

4 Novalis Fragmente Kapitel 23

[3] DUX und COMES sind die Bezeichnungen für die beiden polyphon aufeinander folgenden Stimmen in der Themenaufstellung der Fuge

[4] Interview in der NZZ 2013

[5] in: Die zeitlose Botschaft der Improvisation

[6] in: Liner Notes Homoki Zene

György Szabados’s Antwort zu einer ursprünglichen „mousikḗ“
.

Das „file“, die Partitur der Improvisation. Eine Annäherung

Therapeutischer Aspekt einer pianistischen Kunst

Echo 1: Globale Echtzeit Dramaturgie und Sphären einer Koinzidenz

Das kleinste Seiende und der Ton als geistig- ästhetische Kategorie

Einschwingzeit, Versenkung und Verschmelzung mit dem Klang

Eine „neue Sakralisierung“?!

Echo 2: Es gibt in der Musik keine Entwicklung, nur Wandlung

Konstruktiver Wille oder poetische Imagination? Kritik des Spekulativen

Klang als Projektion und Information des Seins

Echo 3

Homo ludens: „Der Zustand der höchsten Ruhe und der höchsten Bewegung“

Homoki zene , eine spontan- auditive Wortnotation

Preisgabe und Verrat

Der präparierte Flügel bei Szabados

Echo 4

Die Geburtsstunde des Performativen, eine Poetisierung der Welt

mnémē téchnē ? improvisierte Komposition,… komponierte Improvisation

Die Ewigkeit als Augenblick: Zeit und Eigenzeit bei Szabados

Monophonische Sprache „versus“ Polyphonie: Das Eine als Voraussetzung zum Vielen?

Letzte Performance: Wie kommt Szabados mit dem Jazz über den Jazz hinaus?

Nachklang

Lektüre / Quellen:

 

Echo 1 – 4 referieren auf das Konzert von György Szabados im Schloss Johannisburg am 10. April 1986

„Wie ist es zu der Situation gekommen, die diese unglaubliche Schizophrenie als Folge hatte? Die Schizophrenie, die darin besteht, dass es eine ausgebildete, lebende, große Kultur, die europäische Kultur gibt, in der etwas irgendwann stagniert und quasi esoterisch weiter lebt und diejenigen die diese entdeckend und durchdenkend auf sich nehmen und sie weiterleben, sind plötzlich zu einem Höhlendasein genötigt. Was ist das? Woher diese Zweiseitigkeit zwischen der schwelenden Wirklichkeit und einem funktionierenden Schein? “
(György Szabados) [1]

 

Weil Schriftlichkeit in der Preisung des Allerhöchsten nicht wirklich vorgeschrieben ist, gibt es in den St. Galler Neumen vielleicht einen gewissen und wir können annehmen, für damals einen noch gewünschten Spielraum der Interpretation und Neugestaltung des musikalischen Geschehens, die jenem Absolutum des Guido von Arezzo vorausging, welches dieser ca. 100 Jahre später mit  seinem Werk „Micrologus Guidonis de disciplina artis musicae”, mittels Unterschiebung von Notenzeilen in eine festgelegte Tonhöhe- und schließlich auch Dauernotation, auf den verbindlichen und fixierten Weg europäischer Musikausübung gebracht hat. Damals schon fühlte man sich ob dieser Festlegung in seiner je eigens gestimmten Musikpraxis eingeschränkt, die untrügliches und individuelles Zeichen der Identität eines jeden Klosters und dessen tönender Mönche war.

Und so war denn der Begriff „Neume”, wie die Handzeichen ähnlichen Schnipsel auf Pergament hießen, auch abgeleitet von dem griechischen Wort für Geist, Hauch und Atem. Nämlich Pneuma. Es scheint also dass die gesungene Musik der Neumen, noch im Bereich des vierteltönigen und anderer, heute verschwundener und schwer nachvollziehbarer  Merkwürdigkeiten wimmelte und die angestrebte Standardisierung, mit improvisiertem Frohlocken schwer vereinbar war. Einem Seufzer des Leides und der Freude gleich, bewegte man sich in der Welt des Ein- und Ausatmens von analogen Zustandsbekundungen, weit entfernt von dem Entweder – Oder halbtoniger Notation, die den Zwischenraum, die Qualität der spontanen Stimmung eines Augenblicks, nicht abbilden kann.

Ähnlich dieser auseinander laufenden Entwicklung in den Grundzügen der Existenz, die den freien Fluss des Atems quantisiert und “intoniert“, währenddessen sich Merkmale einer gebundenen Reproduktion zu Ungunsten einer freien Interpretation manifestieren, hat der moderne Wellnesszirkus als Importtrend aus Amerika seit den 1990 er Jahren, den postmodernen Körper nicht nur als Optimierungsschlachtfeld zur Austreibung der Muse entdeckt, vielmehr werden wir womöglich als Folge davon, jenem globalen Auswanderungsphänomen ansichtig, welches sich in einer nebulösen Vercloudung unserer Spezies in einer technischen Aura der Computerisierung unseres Alltags bemerkbar macht.

Jene Entwicklung, die bereits Marshall Mc Luhan ahnte [2], als er mit den ersten Rechnern die Auslagerung und Ausweitung unseres Gehirnes auf Festplatten aufkommen sah, die dahin führte, dass wir inzwischen Zeuge eines angeblichen Wachstumsphänomens unseres Denkorgans werden, welches über das Internet verästelt, im Äther wassergekühlter Hochleistungsserver, neudeutsch „Cloud“ genannt, in den Panzerschränken börsennotierter amerikanischer Unternehmen, zum Beispiel in Bluffdale bei Salt Lake City im Staate Utah ohne backup dahin dämmert. Gelegentlich auch surfen genannt.

Dort wird zunehmend in rießigen Partitionen und milliardenfachem Datendurchsatz von 20 Terabytes pro Minute, was in etwa 30 Millionen Büchern,10 Millionen Photos und endlosen Audiodateien entspricht, die Kulturleistung der „alten Welt“ zwischen- und schließlich endgelagert.

Unser Facebook Ramsch gehört ebenso dazu, wie die Totalität unseres verfotographierten Lebens, books on demands (früher gedruckte Romane und Gedichte genannt), Filme in Kanälen anstatt auf Zelluloid, Anspruchsvolles und kaum sichtbare Flachheit, Geschichte und Geschichtslügen, geheimdienstliche Algorithmen die auf Hacker Partys einen altmodischen Foxtrott tanzen und schließlich das wertvolle Elixier unserer kleinen Forschungsarbeit, verpackt in den Nullen und Einsen einer „soundcloud“ genannten Unsichtbarkeit.

Und ganz so, als sei digitales Leben doch noch klammheimlich zu einem Farbklecks in der Lage, um  trickreich im Untergrund zu überdauern, klingen die Töne an der Verwaltung der exklusiven IT – Priesterschaft vorbei und durchdringen den (Aber) Glauben, der in der Fehlannahme besteht, dass ihr Gott nicht zur sinnlichen Wahrnehmung zugelassenen sei.

Mission accomplished, tönt es im Kabel Busch. Wer Ohren hat, der höre.

Hier strömt die Hinterlassenschaft eines Kultur schaffenden „Kulturpessimisten“ von musikadeliger Provenienz, dem Kossuth Preis Träger György Szabados, im Rein Raum eines Imperiums der Neuzeit, mit übertriebenem  Anspruch auf Weltherrschaft, per Mausklick zur Reinkarnation verurteilt, um uns von all zu irdischen Geschichten mahnend und von himmlischer Hoffnung freudig zu spielen.

Soweit die Ausstattung eines digitalen Grabes.

Der homo ludens nach Szabados allerdings, weiß von alledem nichts. Er zelebriert „seine Cloud“, den himmlischen Gedanken einer All Verfügbarkeit von Ressourcen, maximal in Armlänge seiner Aura vor sich her, bespielt die Flügeltastatur als Server (seinen Diener) in synaptischer Weise und sympathischer Einigkeit von Mensch und „Maschine“, lagert seine Kapazität auf die Reihe kleiner Hämmerchen als „Orchesterersatz“ aus und spielt unter physisch – schwingungsvoller Verbindlichkeit auf Musikerkollegen und Mitstreiter maximal in Tonlänge entfernt.

Ein nur virtuelles Nachturnen der Schöpfung, ohne Angesicht und Schweißgeruch der Nächsten, wäre für ihn nicht möglich gewesen. Würde man seine Sekunden Aura in die 44.100 samples eines HD Recorders tatsächlich digitalisiert haben, würde der Künstler in Echtzeit verloschen sein. Es gäbe nichts zu hören. Denn ohne Physis ist Digitales eine Null ohne Eins.

Soweit die Erinnerung an eine analoge Welt.

Die akribische Sortierung viele seiner flüchtigen, weil er-improvisierten Werke auf Festplatten, bilden allerdings das Geschichtsbuch der improvisierten Musik, sind  gleichsam ihre Partitur welche wir dankbar und gerne aus der Hege von Gärtnern der Dateibäumen, zu Hilfe nehmen. Sie lässt uns durch ein Museum der Klänge wandeln, wie zu spät gekommene Besucher, die gerade noch bemerken, dass sie zunächst die Bilder und Klänge in sich selbst verstehen müssen, bevor sie sich den digitalen Abbildern nähern können.

Während wir hören, wird die Sortierung dieser files genannten Dateien, zu einer zeitübergreifenden Botschaft, die zum Nachhorchen einer metaphysischen Welt einlädt, der manche von uns noch in sinnlich-physischer Präsenz beiwohnen durften. Jene aber, die Entwicklung als Wurf und Greifen nach Vorne verstanden, werden durch das Feedback ihrer Gedanken und Worte eines Besseren belehrt werden.

Die auratische Echtzeitkunst eines Meisters der Schwingung, denn das sind Töne und Rhythmen ihrem Ursprung nach, ist also zu digitalisierten Schnipseln geworden, gleichsam zur Nahrung und freundlicher Ermahnung aus dem „off“ akustischer Geschichte, nicht nachzulassen im Bemühen durch die Panzerschränke der Geistlosigkeit, hinaus in die Freiheit, nämlich  zu uns selbst und unserer Erinnerungsfähigkeit hindurch zu diffundieren.

Denn nur dort finden wir, wie die Lehrlinge zu Sais hinter dem Schleier, uns selbst, die wir nur existieren wenn wir uns aus dem Nichts immer wieder neu erschaffen, in Schwingung versetzen und die Gratwanderung des Spekulativen in eine Dramaturgie irdischer Schönheit verwandeln. Mit all ihren Possen, Tiefsinnig- und Unzulänglichkeiten und schließlich ihren Wahrheiten.

In dem Maße, wie schriftliche Niederlegung von Musik fehlt, sind wir aufgefordert den eigenen inneren Fähigkeiten zu trauen und unter Zuhilfenahme von Resonanz , nämlich universeller Echofähigkeit, unseren musikalischen also menschlichen Horizont immer wieder neu zu aktualisieren. Solange wir unseren Resonanzkörper pflegen und üben, findet diese Botschaft aus dem Lautsprecher einen Weltinnenraum, der im Sinnlichen einer unsinnlichen Welt gestaltet werden will und somit das Rohmaterial kommender Zeiten bildet.

Dies ist der Trainingsplatz für Unerhörtes und der Altar auf dem wir uns, den Ahnen nachhorchend, hingeben. Auf dem Weg dorthin und über das unwegsame Gelände einer Hellhörigkeit, begegnen wir György Szabados’s mousikḗ, als Antwort der Zeitlosigkeit auf verworrene Fragen des irrlichternden Zeitgeistes, der zunehmend den Atem zur Daseinskraft und der Kultivierung  seiner Gegenwärtigkeit verloren hat.

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[1] in: Béla Hamvas und die Musik S. 2

[2] Marshall Mc Luhann: Das globale Dorf

Der Musiker-Arzt Szabados, der es wagt  als Heiler und Schamane, über recht verstandene Praxis die Götter freundlich zu stimmen und somit „den Patienten“, seine Zuhörer teilnehmen lässt an einem metaphysischen Neustart, tritt uns immer dann entgegen, wenn der Spieler auf der Bühne im wagemutigen Akt einer netzlosen Kunst daran arbeitet, seine eigene Begrenztheit, sein Alltagsbewusstsein zu „überwinden“, um sich mit jener transzendenten Sphäre zu einen, die es ihm ermöglicht Klang und Rhythmus aus den Urquellen der Musik zu schöpfen.

In einem Drahtseilakt läutert er selbst jene nicht mehr errettbaren Seelen, die ohne Wirkung der mousikḗ, durch die Negativität ihrer Eigenschwingung aus den Fugen gerieten.

Der Gedanke einer Harmonisierung, von durcheinander geratenen Sphären in Mensch und Kosmos war schon zentrales Anliegen der Pythagoreer und trifft sich mit jenem  Wirkungsverständnis von Schamanen, welche die Unordnung und das Chaos einer Gesellschaft zu heilen versuchen, indem sie selbst daran erkranken, sich gleichsam über die bloße Symptomatik hinaus mit den Ursachen der Krankheit bekannt machen, das Kranksein in sich hinein holen um diese, nach Verbindung mit einer heileren, „höheren“ Sphäre, purgiert an die darbende Gemeinschaft zur allgemeinen Balance und Gesundung zurück zu geben. 

Höher zu schwingen, ohne Integrationskraft zu üben, kann allerdings das Gegenteil einer Gesundung erzeugen, wenn das Bewusstsein über die Wirkung mangelt, oder das Ego des Gratwanderers noch allzu sehr mit sich selbst und seinem Erfolg in einer auf Anerkennung getrimmten Welt, beschäftigt ist.

Allerdings scheint die „Abwesenheit“, nämlich  das Dämmern von „Bewusstsein im diskursiven Sinne“ gerade Voraussetzung, um in Kontakt mit Wirkungsfeldern zu kommen, in denen das „ungefilterte Spiel der Kräfte“ jenes  Reservoir an Möglichkeiten bereit hält, dessen  Dynamik eben nicht einer statischen Innerlichkeit entspricht, sondern höchst bewegt die Untiefen für den Tonwanderer bereit hält.

Man sieht und hört dem Schamanen zu, wie er sich langsam einschwingt und aus sich und über sich hinaus geht, mit den Mächten des Abgründigen ringt, um in Höheres „hinein“ zu wachsen, sich selbst opfert, um den „wild gewordenen Geist“, den er wach rief, schließlich umzustimmen, um in höherer Integration mit sich und der Welt eins zu werden. Hierzu braucht er eine klare Analyse und Einschätzung der Welt und ein Grundvertrauen in seine eigene „Paranoia“, um mit dem alten Bild als Referenz ein neues, anderes Bild, weniger ein Gegenbild, denn ein ganzheitliches Feld zu kultivieren.

„Chaos“ im Sinne einer bestimmten Strömung des Free Jazz der frühen 60-er  Jahre, in der keine „bekannten“ Klänge und Strukturen wiedererkannt werden sollten, wo gelegentlich von Kaputt-Spiel-Phasen gesprochen wurde, wäre also nur Ausdruck eines „heillosen“ Zustandes den es zu bändigen, zu formen und zu integrieren gelte .

Wenn diese spezifische Einschwingzeit fehlt, oder wie in folgendem Beispiel bewusst gestaltet ist, audio (in einer Aufnahme vom 16.11.1991 in der Music Hall) in Budapest (Track 1), wirkt die Musik „fragmentierter“, sich eher dem Duktus einer 12-tönigen, freitonalen oder a-tonalen Entwicklung annähernd, mit Anklänge an amerikanische Beispiele des Free Jazz. Letztlich ist anzunehmen, dass mit der inneren Haltung eines „selbstreferentiellen Sinns eines  imaginären Ursprungs“, die Ereignisse in einen qualitativ neuen und anderen Zustand überführt werden sollen. „Neu“ meint hier das Paradoxon „Alt“ im immer wieder versuchten Anfang.

Diese Erfahrung legt nahe, dass spontane prozessuale Entwicklung in der Geste bestimmter auskomponierter europäischer Musik des 20 Jhdts. eine imaginäre Kontaktnahme mit Motivik und einfacher, lyrischer Bögen erfordert, um in einen authentischen Prozess und Spielverlauf zu kommen.

An dieser „Kultivierung durch Bändigung“, dem Zähmen der Töne und Ausbalancierung der Rhythmen, nehmen Szabados’s Zuhörer teil und werden in einem therapeutischen Prozess „geheilt“, wenn sie sich eine bestimmte Fähigkeit bewahren, jenes Spannungsreiche geschehen zu zulassen, welches die akustische Reibungsenergie umwandelt in ein langsam erklimmendes und dauerndes Licht, nicht nur zu-hören lernen, sondern sich transformieren lassen, indem sie sich mehr und mehr öffnen.

Das Streben nach einer Verhältnismäßigkeit, in den kosmischen, wie auch als Abbild in der irdischen Welt, der musikalischen und sozialen Dimension des Daseins, gehört mit zu Szabados’s Verständnis des Lebens. Da wo die Pythagoreer, der Zeit entsprechend noch mit relativ einfachen Verhältnissen Natur, Mensch, Musik und Kosmos in Beziehung setzten, bleibt gerade im 20. und 21 Jhdt. das Bedürfnis nach Einheit und Mitte bestehen, ja wird zur eigentlichen Triebkraft menschlicher Daseinsfragen. Die Wege hierzu allerdings sind durchaus andere, beginnen aber oft mit der Besinnung und Einschwingung auf einfache Prozesse. Einer Erinnerung, auch dort, wo diese ihrem sinnlichen Gehalt nach nicht auf Einfaches zu referieren scheint.

Gleichwohl ist das letzte Ziel der mousikḗ bei Szabados die Preisung. Jener Gesang, der sich Höherem und Gutem zuwendet in der Erkenntnis, dass sich heutige und archaische Welt in den Angelegenheiten des Menschseins nicht allzu viel unterscheiden. Was bleibt da anderes bei unserem kurzen Wanderweg zwischen den beiden Polen des Nichtwissens, als uns jene Kräfte freundlich zu stimmen, die wir nur erahnen mögen, in der Hoffnung dass sie uns wohlgesinnt seien wenn es denn darauf ankommt.

Es ist im Grunde die Frage nach einem guten Leben, die bei annähernd positiver Beantwortung ein mindestens genauso gut erhofftes Ende, oder gar Weiteres erwarten lässt. Man sucht durch Opfer, Hingabe und Verehrung die Götter gnädig zu stimmen, jener Akt der heute mit Hilfe der Psychotherapie den Versuch unternimmt, aus dem freien Fall der Vereinzelung, mittels Kontaktnahme zu Verschüttetem und sich nun als Monster gebärendem, jene Seilschaften zu mobilisieren, mit denen ein hinreichend dichter Teppich zu weben sei, auf dem der Adept sein „mediare in der Welt der Diskontinuität“, üben und wiedererlangen könne.

Liturgische Anklänge, also die ordnenden Sphären des Rituals an Höherem und Mittigem, welche Szabados wiederholt in die Deskription seiner Musik mit einflocht, scheint für ihn unabdingbare Voraussetzung einer Musikausübung, die sich faktisch abgrenzt von der Betriebsamkeit der Welt und gerade auch dort, wo diese vorgibt eine Erleichterung, auch Unterhaltung genannt, vor dem argen Zustand dieser Welt zu bieten.

Dort, wo es nicht um die existentiellen Fragen des Menschseins geht, verliert das, was wir Kunst nennen, seine Funktion als metaphysischer Brückenbauer, der doch nur den Schein der Welt entlarven und uns bewegter machen soll, in der Erkenntnis fundamentaler Vergänglichkeit, wie auch transzendentaler Schönheit.

Es soll eben nicht in einem fatalen Egalitarismus enden, dem es egal wäre ob und wie etwas zustande käme, in Verneinung der Reibungsflächen des Unterschiedlichen, sondern gerade als Herausforderung, den anderen Standpunkt anzunehmen als Referenz, um sich an diesem mit dem Medium der mousikḗ abzuarbeiten, diesen aus seinem personalen Gefängnis zu befreien, um eine Sprache zu sprechen, die keiner versteht und doch alle verstanden haben, nachdem der letzte Ton verklungen ist.

Die Musik Szabados’s transzendiert Zeit, was Raum-Weitung zur Folge hat, in dem Bilder und Vision entstehen können, ein archaisches Kraftpaket des Kultischen, das sich ohne monatliche Beitragszahlung für jeden öffnet, welcher sich einen Sinn für die Reibungsflächen von Impuls und Schwingung bewahrt hat.

Möglicherweise haben diese Aspekte seine Musik ähnlich „gefährlich“ gemacht, wie die Bilder eines fernen „Verwandten“ der bis in die neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinter der Konstruktion eines „eisernen Vorhanges“ die Machbarkeit des Menschen zugunsten seiner inneren Autonomie und seelischen Tiefe ebenso hinterfragte, wie der ungarische Musikerkomponist, der lange Jahre hindurch in einem isolierten gesellschaftspolitischen Umfeld seinen Weg konsequent entwickelt hat. Dort gärte  von jeher das Biotop, in welchem der Mensch als Geschöpf zum Individuum begriffen ist und im Verfall einer politisch-soziologischen „Idee der Gleichheit“ seinen Anfang nimmt. 

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So ist nicht verwunderlich wenn auf der Spurensuche nach dem Wirkungsverhältnis des „modernen Menschen“ im Allgemeinen und dem Geheimnis der Improvisationskunst bei György Szabados im Besonderen, Ereignisse zusammentreffen, deren Ursächlichkeit sich zunächst in verschiedenen Spielfeldern zeigen und wie ein Bild zweier ferner Brüder erscheinen mag, die sich zeitlebens nicht kannten. Dennoch aber aus ähnlicher Not heraus das „Mantra der Zivilisationskritik“ über die kunstvolle Handhabung ihres Mediums, in die Welt rezitierten. 

Gehen wir in unserer musikdramaturgischen Forensik mit den Mitteln eines bildgebenden Verfahrens die kurze anthropologische Zeitspanne eines Viertel Jahrhunderts zurück und sehen aus scheinbar sicherer Ferne auf eine prozessuale Ikonologie, deren weitere Verdichtung es uns heute nicht mehr erlaubt, ihr einfach nur zu zuschauen ohne zu realisieren, dass wir Teil jenes Dramas sind welches wir selber laufend inszenieren. Und dies mit zunehmendem Hang zur Unausweichlichkeit eines schlimmen Endes.

Dass solche Prämissen der Selbstinszenierung bereits die antiken Griechen, die „Erfinder“ von Drama und Tragödie zur Läuterung allzu menschlicher Leidenschaften erkannten, macht eine Prozedur nur noch dringlicher, die durch ihre Unterlassung ansonsten in die Vernichtung der Spezies führe. So jedenfalls die Vorahnung des Verderblichen von jenen Darlegern besserer Varianten als des Fatalen, die den Menschen anregten, mittels Schulung und Verfeinerung musischer Kräfte, die Harmonie der Sphären im Irdischen zu verwirklichen, um letztlich der ausufernden Disproportionalität eine heilsame Alternative zu bieten.

Menschen, die sich wie Szabados, aus eigener Erfahrung  an eine zeitlose Tradition ankoppeln, gab es zu allen Zeiten und sie erscheinen dann, wenn der überaus materialisierte Zustand der Welt Anlass zu Klagen bietet, die Perspektive eines nach vorne, mehr und weiter immer enger und unsinniger wird, Kriege und Konflikte sich abzeichnen und sich allgemeine seelische Verflachung breit macht, die heute bereits als Ausdruck von Vielfalt gesehen wird. Die Wesens Entkernung des Menschen, die ihm die Möglichkeit seiner Selbstwerdung raubt und die zunehmende Fernsteuerbarkeit durch Apps amerikanischer Unternehmen, bilden das unheimliche Reservoir, dem gegenüber diese Kulturarbeiter eine echte Alternative aufzeigen wollen, indem sie sich rück-besinnen auf die archaischen Kräfte, die in uns Menschen schlummern. Oft verteufelt und selten genug in jenem bedeutungsvollen Zusammenhang erschaut, die es dem Individuum erlauben ein bewussteres Leben zu führen. Diese Kunst des Schauens führt uns zu konkreten Ereignissen in jüngster Vergangenheit, die wie alle Menetekel oft nicht wirklich gelesen werden und als Unfall der Moderne und Makel scheinbar unaufhaltbaren Wachstums im Untergrund ungelöst überdauern.

Die Spuren solcher  Ereignisse können nur jene lesen, die sich eine weitgehend unabhängige Sichtweise und beständige Übung der Anschauung bewahrt haben. Dort „teilt“ sich die Welt zunächst in eine öffentlich-wahre auf der einen und in eine nur scheinbar  fragwürdig-obskure auf der anderen Seite. Daran nicht zu verzweifeln und eine Antwort des Ganzen zu bemühen, ist Aufgabe des Kreativen, des Schöpferischen.

Die Bühne die er betritt ist der Kriegs Schauplatz der Moderne, auf der in einer grell-auratischen Sphäre der Unterhaltsamkeit, eine Show des Guten wieder des Bösen inszeniert wird. Diejenigen aber, welche die Dramaturgie entwerfen, spielen zur ihrer Gewinnmaximierung mit dem kollektiven Unbewussten der Zuschauer und Zuhörer. Ihre Macht ist  repräsentiert durch  die Ohnmacht der Vielen, die dem Diktat des Konsums unterworfen, der Manipulation Tür und Tor öffnen.

.

DUX

„Wir haben eine schreckliche Disharmonie geschaffen, das heißt, ein Ungleichgewicht zwischen der materiellen Entwicklung und der geistigen.“  [1]

 

Die Dreharbeiten zu seinem letzten Film „Opfer“, hatte Andrej Tarkowski Ende März 1986 (er starb 9 Monate später in Paris) gerade beendet, als man bis zur Katastrophe von Tschernobyl noch 3 1/2 Wochen zählte. 

„…….Aus dem Fernseher sind Fetzen einer Ansprache hörbar: Ordnung und Organisation!“ „Jeder soll bleiben, wo er gerade ist, denn es gibt keinen Ort in Europa, der sicherer ist als der, an dem wir uns gerade befinden.“ Der Fernseher geht aus. Die Szenerie erinnert an den Ausbruch eines nuklearen Weltkrieges….“

Die Kritik des Filmes, der dann am 9. Mai, 2 Wochen nach Tschernobyl in Cannes uraufgeführt wurde und aus dem dieses Zitat stammt, beschreibt diesen wie folgt:  „Eine wort- und bildgewaltige poetische Vision, die dem Materialismus der Welt in der Forderung nach Opferbereitschaft eine von spiritueller Sinn-suche erfüllte Gegen-Welt des Glaubens gegenüberstellt…“

Am 10. April 1986, unmittelbar nach der Fertigstellung von „Opfer“ betrat der bis dahin im „Westen“ weitgehend unbekannte ungarische Pianist und Komponist György Szabados eine kleine Bühne vor einer Gemeinde von Anhängern der improvisierten und neuen Musik im Schloss Johannisburg in Aschaffenburg. audio 

Er war 1983 das erste Mal auf ein kleines Festival in das  Dorf Daxberg in Unterfranken von Rudolf Kraus eingeladen worden, der in seinem Jazz Plattenladen eine Art interdisziplinäre Volkshochschule akustisch bedeutsamster  Ereignisse betrieb, in welcher der Verfasser dieser Zeilen einen Teil seiner außer institutionellen Studien betreiben durfte. Dies bedeutete: Nahezu rund um die Uhr den Bestands Äther des damaligen Bielefelder Jazzkataloges einzuatmen und aus äußerst prekären Umständen den Speiseplan auf Ölbrot (da geröstet auf dem Ölofen im Laden) umzustellen. 

Über die Eigenheit dieses Enthusiasten, der postalisch eingehende Bestellungen länderübergreifend höchst selbst bei seinen Kunden abzuliefern pflegte, kam schließlich der schicksalhafte Kontakt zu György Szabados zustande.

Umrahmt von der dunklen Patina altersduftender Ölgemälde Mainzer Erzbischöfe und Kurfürsten, welche die Erinnerung an die Herrscher weltlicher, wie geistlicher Sphären im unterfränkischen Land wachriefen, nimmt also der damals 47 jährige im Zunftsaal des Barockschlosses, welches Johannes dem Täufer gewidmet war und im kulturimperialistischen Niedergang amerikanischer Bomben ohne Not in den letzten Tagen des 2. Weltkrieges fast vollständig zerstört wurde, in konzentrierter Strenge vor einem Steinway Platz.

Dort entfachte er sein fulminantes Solo-Piano-Konzert, das uns bis heute zu denken gibt. 

In Art und Weise einer höheren Haptik entfaltete sich vor den Ohren und Augen ungläubig staunender Sinn Sucher, ein Höhepunkt europäischer Musikkultur, gleichsam eine Geburt aus unbekannter Asche und in hintergründiger Entsprechung zu jener Örtlichkeit des barocken Bauwerkes, das nach seiner Verwüstung und dem Ansinnen einer Dekultivierung, dennoch wieder zu neuer Blüte empor gebaut wurde.

Wer sich darauf einließ, in aufgetürmte Klangsphären einzutreten und die polyrhythmischen Gefechtssalven als Spiel der reinen Existenz zu erkennen vermochte, das durch anhebendes Flügelgewitter einer zunehmenden Entzeitlichung entgegengeführt wurde, fand sich von einem musikalischen „Stalker” zweifelnd in eine unbekannte Zone [2] geführt, von der auch der pianistische Psychopompos gewiss nicht immer wusste, ob daraus je eine Rückkehr möglich sei.

Der dämonische Aspekt von Musik, welchen Thomas Mann in seinem Aufsatz: „Deutschland und die Deutschen“ 1945 da „wirklichkeitsfern“ der Sphäre des Faust zuordnete, wurde hier im Kampf der Gewalten vorgeführt, allerdings von keinem Deutschen, was Mann’s These des Spezifischen zu widerlegen scheint, sondern von einem gänzlich unverdächtigen Ungarn. [3]

So läge auch Kierkegaard daneben wenn er im Rahmen einer Betrachtung von Mozarts Don Giovanni konstatiert: „Soll Faust der Repräsentant der deutschen Seele sein, so müsste er musikalisch sein, denn abstrakt und mystisch i. e. musikalisch, ist das Verhältnis des Deutschen zur Welt, […] ungeschickt und dabei von dem hochmütigen Bewusstsein bestimmt, der Welt an ‚Tiefe‘ überlegen zu sein.“

Und wenn er weiter ausführt, dass die Deutschen dabei „[…] Musiker der Vertikale seien, nicht der Horizontale, größere Meister der Harmonie als der Melodik, dem Spirituellen in der Musik weit mehr zugewandt als dem Gesanghaft-Volksbeglückenden, […]“, so müsste unser Mann auf der Bühne ein Vertreter einer besonderen Spezies von morgen-abendländischer Mixturen sein, da er sowohl die Register des Vertikalen als auch des Horizontalen und schließlich noch des Volksliedhaften beherrschte.

Was wohl zutraf war die Nähe der Musik, die sich unaufhaltsam in den Individuen ausbreitete, gleich einer Art von diffus-grippal eingeschleppten Gottesahnung, die wie Augustinus ermittelte, den Anwesenden näher schien als diese sich selbst. [4]

Das Spiel des Magyaren stand auf Risiko und vollem Einsatz des homo ludens und seiner ihm unbewusst sich Anvertrauenden, die dem Faszinosum des faustischen ergeben schienen, bis der Zauberer auf der Bühne die entfesselten Kräfte in sanftere Gefilde führte, oder ihnen über einen harten Schlag im letzten Akkord die Daseinsberechtigung entzog. Währenddessen drückten sich die Brüder „Hochmut und Überlegenheit“ verschämt in der Ecke und unterhielten sich in englischem Getuschel über den Fauxpas der Bombardierung europäischen Kulturgutes, jenes lokus operandi an dem dieses Konzert nun erstand.

Es ist nicht nur eine Besatzung der Physis, wenn andere Mächte in uns eindringen, sondern damit verbunden, vor allem eine Kontaminierung der Sprache, die sich über die Geschichte(n) äußert, die wir uns erzählen, ohne zu hinterfragen was das einzelne Wort bedeute, wo es herkomme und in welchem Zusammenhang es entstanden ist, schließlich auf welche Erfahrung es ursprünglich referierte. Da diese Erkenntnis schwerer auf musikalische, denn auf handfestere Akte anzuwenden ist, generiert sich von daher eine Sichtweise, die sich vorbehält Recht zu haben, in der Interpretation der Geschehnisse, allerdings unter dem fatalen Ausschluss der Sichtweise des Gegenüber. 

So ist Musik immer Beides. Himmlisch und dämonisch, oben und unten, verkörpert „das Schlechte“ ebenso wie „das Gute“ und mäandert als ein Paradox der Wahrnehmungswelt über die Oberfläche unserer Sinne, mit der Tendenz in die Tiefe abzusacken.    

Ausgerechnet an einem Ort der Tradition also, wo Sinn zum Preis des Vergessens einer dunklen Vergangenheit die nicht vergehen will, wesentlich  im Sturz nach vorne erreichbar schien, folgten wir einer Rückschau die zunehmend zur Introspektion einer unbekannten Welt wurde. Es bildete sich nämlich eine Wolke über der Bühne, die ihr Gesicht Janusgleich in beide Richtungen gleichzeitig bewegen- und das Kommende im Vergangenen und das Verflossene in einer Projektion laufender Ereignisse sehen konnte.

Wenn nach Sloterdijk [5] „Übung eine Form des autoplastischen“ ist, die auf den Handelnden zurückwirkt, erlebten wir hier einen akustischen Bildhauer in einer Trainingseinheit im öffentlichen Atelier, der sprichwörtlich mit jedem Drillen der Töne auf den Stahlseiten einer 2,30 Meter langen schwarzen Lade, das  gleich wieder zerfließendes Bild seiner selbst, als Beleg der Durchdringung des Meta- mit dem Physischen vor sich hin hämmerte. Entstehen im Vergehen des Urhebers wurde plastisch, in einer energiegeladenen Kunstfertigkeit, die sich von Metempsychose zu Metempsychose weiter hangelte .

Die „Zurückstellung der Wahrheitsfrage zu Gunsten einer Aufmerksamkeit für Zustände des In-Form-Seins“ [6] wurde offenbar und so  schien die Frage nach höheren Mächten, auch in der Aussage des Meisters, zumindest im Zustand der Entzückung, obsolet. Es war unzweifelhaft Szabados der in Form war und spielte. Niemand sonst. Er wirkte wie ein Schwamm, der nach langer Konzentration, jetzt alle Aufmerksamkeit seiner Zuhörer in sich aufsog, um nach weiterem Zusammenziehen die Erkenntnisse seiner Meditation in das Publikum wieder zurück zu streuen, um  die Versammelten spüren zu lassen, wie sich eine schamanistische Prozedur anfühlt.

Nachhorchend dem Titel Adyton, einer Veröffentlichung des Meisters 3 Jahre zuvor, welche dem ungarischen Dichter Endre Ady gewidmet war, erstand das  Paradoxon eines geschlossenen Tempelbezirks, welches die alten Säulen des Saales durch die Kunst musikalischer Offenbarung ermächtigte, sich selbst wie ein Phönix in reinkarnatio aus der Asche zu befreien.

Denn nur wer wirkliche Wandlungskraft in sich kultiviert und meistert, darf das scheinbar Widersinnige in seinem Wortschatz führen. Dem Beispiel Ady’s folgend, der die Hölle des ersten Weltkrieg erlebt hat, evozierte der Musiker auf der Bühne im Gefecht der Klänge sein Einssein mit dem inneren Gott, um über das Stahlgewitter geschossschneller rhythmischer Permutationen hinaus zu wachsen, den Nachkommen zu berichten und schließlich Wandlung zu erfahren, indem er sich auf seinem inneren Altar opfert.

Dass Szabados mit einem so verstandenen Gott, eben nicht jene „Chiffre für einen historischen erfolgreichen Komplex hochgetriebener psychoreligiöser Motiviertheit“ meint, wie Sloterdijk den vorwiegend gewaltträchtigen Monotheismus des Alten Testamentes nennt [7], versteht sich von selbst. 

„Unser“ Auferstandene strahlte  in der Aura des noch nie Gewesenen, der die Ungläubigen in Erörterung über die Levitation des gerade Verblichenen rätseln lässt und die Erfahrung als einzigen Beleg der Erscheinung des Unmöglichen auf vager Hand der mnémē téchnē, einer rabiat abnehmenden Gedächtniskunst, an den Nächsten weiterzureichen versucht. Kultus war hier nicht spröder Geschichtsunterricht des Unglaublichen, sondern bestätigte sich durch eine Mischung untrüglicher Zeichen aus Angst und Rückgrat kräuselnder Heiterkeit, die just über den Atlas hinauswuchsen, als sich die äußere Schwere der Räumlichkeit in einen Orbit akustischer Himmelfahrt wandelte. Wir wurden über unsere Ohren daran erinnert, was Ritual Systeme einst gewesen  sein mochten und vergewisserten uns vorsichtig ihrer aktuellen Wirksamkeit.

Ob sich hieraus eine transethnische und kollektive Verbundenheit, als Folge einer Bezogenheit auf gemeinsam Erfahrenes, im Sinne einer „Brotherhood of Breath“[8] entwickeln kann, wird sich möglicherweise in Zukunft zeigen.

Geschichte braucht Glieder des Verbindlichen , die in alten Zeiten von Religionen, ihren Auslegungssystemen und Mythen, seltener von faktischen Wahrheiten geleistet wurde. Buddhistische Praxis, die sich nicht als Religion, sondern eher als Erfahrungswissenschaft versteht, könnte ein Teil dieser Praxis sein. Denn was wir erlebten war die Leibhaftige Demonstration eines atmenden Menschen eben dieser Selbsterfahrung Wissenschaft. Und wenn wir weiter annehmen, dass es hier nicht um kunstvolle Unterhaltsamkeit ging, wird die Sprache Szabados’s schlicht zu einem Überlebensinstrument. Zumindest sei die Erörterung dieser Frage zugelassen.            

Das Verschwundene, welches jetzt in den zeitlosen Augenblick hinein erklang, war hier kein Ding welches wir wiederverwenden könnten, nachdem es ausgegraben war, sondern ein unmittelbarer Akt des ständigen Hervorbringens- und Weiterentwickelns während dieses entstand und zum staunenden Entzücken der Versammelten gleichzeitig wieder verging ohne zu vergehen. 

Ein verfeinerter Prozess der Entelechie, das beständige Pumpen von Äther in das Pfauenauge eines Schmetterlings, der bereits beim Abheben nicht mehr derselbe ist, wie gerade noch am Rande der Blüte, die im Windhauch eines Sonnenstrahls zurück bleibt.

In der Nachbetrachtung erscheint die musikalische Eruption des späten Sohnes einer Donaumonarchie, der sich im Gegenentwurf zu hinfälligen Strategien der Moderne, mit seinem Ensemble als Hofmusiker für Höheres verstand, wie ein warnendes Menetekel auf das, was sich 2 Wochen nach dem denkbaren Konzert im Barockschloss, mit dem Ausbruch des Reaktors zu Tschernobyl in seiner abgründig und unbändig zerstörerischen Kraft in das Gewissen der Welt einbrannte.

Was Szabados noch an Energien bändigte, entfesselte der zur Machbarkeit erodierte Geist des Atoms hinter dem „eisernen Vorhang“ in seinem ausschließlich dämonischen Aspekt. 

Als wollte die Darlegung menschlich- geistiger Kraft, ein letztes Mal mahnen, dass das musikalische Drama auf der Bühne immerhin eine Aussicht auf Überlebbarkeit kultiviert, indem es  eine bessere Variante zu immer fragwürdigeren menschlich-technischen Auswüchsen biete, als jene  bodenstürzenden Kräfte in der Ukraine. Als seien die Worte von LeRoi Jones über Albert Aylers Musik: „Sie ist das Atomzeitalter, der Explosivsound von heute“ eine Vorahnung von dem gewesen, was sich in der fulminanten Kraft Szabados hier offenbarte.  

Mit dem Mittel der mousikḗ vorgetragen, klanglich erklärt und in ihre Schranken verwiesen, schließlich einer präventiven Katharsis unterzogen, erreichten die moderierten Gewalten, die sich auf der Bühne zeigten, jedoch nicht mehr rechtzeitig den Ort des Geschehens im Osten.

Zu spät. Jedoch nie zu spät zur weiteren andächtigen Betrachtung und Erinnerung der Anwesenden, auf dass diese den Tag des „jüngsten Gerichts“, einer Sphäre zeitloser Selbstbetrachtung, nicht vergäßen.

Die Betrachter und Zuhörer wurden Zeuge eines Echtzeit Labors musikethnologischer Grundlagenforschung, die sich neben ihrer Geschichtsmeditation auf nichts beruft, als die Kraft des Augenblicks, den Bewusstseinszustand der Leere und der ununterschiedenen Einheit allen Seins, aus dem sich mit einer ursprünglichen Kraft der Differenzierung, im Schöpfungsakt des Logos, die Welt der 10.000 Wesen heraus entwickelt.

Einer Abrechnung im Guten gleich, entzauberte der Mann auf der Bühne die Weltgeschichte der Musik, im Zustand ihrer Entstehung, um uns dann doch noch nach 2 Wochen als Irrende zurück zu lassen. So wurden wir Jene, die erst sehr viel später die tönende Botschaft als Opfer und Referenz eines geistigen Überlebenstrainings verstehen können.

Bisckei[1] Alexander in: „Opfer“ von Andrej Tarkowskij

[2] s.a. „Stalker“ Film von Andrej Tarkowskij

[3]  s.a. Peter Sloterdijk „Im Schatten des Sinai“ / Kap. 1, Verkleinerung der Kampfzone

[4] s.a. P. Sloterdijk „Im Schatten des Sinai“ / Kap. 1, Verkleinerung der Kampfzone

[5] P. Sloterdijk, Du musst dein Leben ändern, Suhrkamp 2009

[6] P. Sloterdijk ebenda, Anmerkung 6, Im Schatten des Sinai

[7] ebenda

[8] so ein CD Titel des südafrikanischen Musikers Chris McGregor

Szabados Solospiel beginnt gewöhnlich mit einer Reminiszenz an dieses ununterschiedene Eine, musikalisch sich äußernd durch monophone Bögen in einfachen Intervallen, ähnlich einem Zäsur-losen gregorianischen Gesang im Stil melismatischer Neumen, der den Adepten mit dem Höchsten bekannt macht, ihn gleichsam über das Signalhafte einer Quinte und deren Spiegelung der Quarte, im Sinne einer „idée fixe“, wachrufen und an seine Eingeborenheit in sich selbst und jenes im Göttlichen, erinnern soll.

Eine freundliche Einladung in einen ursprünglichen Zustand, der mit dem Wort paradiesisch nicht wirklich korrekt wiedergegeben ist. Denn dort lauert das unvermeidliche Übel, während in der Musikausübung vor dem Hintergrund des sich Einens, der Spieler die Prämisse des Getrenntseins zu überwinden und zu heilen versucht, über die Kontaktnahme zu einem zeitfreien Kontinuum des differenzierenden Seins. Vereinfacht gesagt:

Improvisation auf Augenhöhe der Kenntnisse des anwendenden Musicus.

„Schicksalhaft“ nennt Szabados auch jedes kleinste akustische Ereignis, welches vom teleologischen Standpunkt aus betrachtet, wie ein karmischer Knoten im unendlichen Netz der Schwingungen ein ganz bestimmtes Ereignis darstellt, dessen (Er)Lösung nur durch Entwicklung und Kultivierung, wie auch jenem Umstand seiner tieferen Erinnerung möglich wird.

So impliziert er eine „akustische Ordnung der Welt“, innerhalb derer „sich besser orientieren und leben“ lässt.

Die Erkenntnis, dass dieses Kleinste bereits alles Folgende in sich trägt, wird nicht nur als Frage in alten Kulturen aufgeworfen, sondern auch durch moderne naturwissenschaftliche Forschung bestätigt. Der Same des Einfachen, der sich eher durch seine Tiefendimension als durch eine prozesshafte Vorstellung entwickelt, klingt hier an und legt die Spur für Weiteres und Kommendes welches als Information bereits angelegt ist. Entwicklung wird nicht als Reihung, eher als Eignung verstanden, dem  schwingungsmäßigen Angleichen an den Urbeginn, der Alles in sich trägt.

Nicht von ungefähr hört sich diese Beschreibung in vulgo einem Verständnis von der DNS an. Entschlüsseln allerdings muss dies der Eingeweihte, indem er sich dem Prozess des Komplexen im Einfachen, immer wieder neu anverwandelt.

Erst wenn dieses geleistet ist, kann jener paradoxe Prozess „der Leere, die Form ist“ [1], aber auch Identität der Nichtidentität meint, des Einfachen in der Fülle (v.v.), realisiert werden. Nämlich dann, wenn hochkomplexe Spielverläufe den Adepten aus der Bahn zu werfen drohen und nur im erfahrenen und praktizierten „Eingedenksein“ und im Zustand des Ganzen, dieses durch energetische Ladung und Kultivierung spielbar und somit formbar bleibt.

Erlebt der Praktizierende beides als Gegensätze und voneinander im Wesen getrennt, also nur im Zustand einer Subjekt-Objekt Wahrnehmung, oder einer Welt der Erkenntnisse von Bewertung und Relativierung setzt ein, würde der Spielfluss unterbrochen werden. Das Dilemma des Herausfallens aus einem ganzheitlichen Zustand und ein zwangsläufiger Abbruch wären  die Folge.

Es ist keine effektheischende Turnübung für einen verblichenen Esoterismus, dem die Jungen davon rennen mögen, sondern reine gegenständliche Meditation des Einfachen, innerhalb dessen sich Subjekt und Objekt in einem mantrischen Prozess von Atem und Wiederholen zusammen schwingen, das kleinste Seiende in einem Ton, seinen Schwingungsimpuls, bespielen und in Gang versetzen und die Schönheit daran wie ein im Spiel versunkenes Kind schmecken, um es dann der natürlichen Gestaltungskraft zu überantworten.

Ohne dieses Schmecken und Erfahren des „Einfachen“ ist schwer eine authentische Musik der Echtzeit möglich. Hier klingt die ästhetische Kategorie des Blues an, der ohne Resonanz mit dem Ursprünglichen eines verwundeten Lebens, nur Verwicklung in der Welt, aber nicht deren Entwicklungspotential bereit hielte. Transformation geschieht über das Besingen des Lebens  aus einer Verletzung heraus, die sich in Schönheit wandeln möchte.

Es ist das hymnische Gebet einer brennenden Seele, die Klage eines Menschen durch Songs und Lieder hindurch, die Erhebung und Opferung des „eigenen“ Geistes, welches wie bei Albert Ayler [2], der mit Szabados den gleichen Geburtstag teilt, zu einer klagenden Anrufung des Höchstens aus den Tiefen einer verzweifelten Existenz wird, die sich einer Führung, welche das Personale eines Individuums transzendiert, nur durch beständige Übung und innerer Ausrichtung, würdig erweist. (Szabados)

Vielleicht war es eine wesenhafte Erinnerung, eben ein Gedenken des „sich würdig erweisens“, welche den Abt des Reichenauer Klosters dazu bewog, während der Überfahrt eines zur Hinrichtung bestimmten Delinquenten, durch den Zug am Glockenstrang doch noch Gnade walten zu lassen und somit dem kleinen Seeabschnitt zwischen dem Festland Allensbach und der Insel im Bodensee zu seinem Namen „Gnadensee“ verholfen hat. Vielleicht war der zum Richtplatz Bestimmte, ein im Grunde wahrhaftiger Kerl, weil übender Mensch, der dem Strick durch die Aufmerksamkeit eines Geistlichen entging.

Jedenfalls kann man die Erzählung von Bernd Konrad im Brigantinus zu Konstanz, in einer Weise interpretieren, die Szabados als Akt universeller Verbundenheit verstanden hätte.

Kultiviert und gepflegt von den Erhabenen und Edlen (Brigantia), den frühen Strickmeistern des Transzendenten in den Übungsstätten zeitfreien Frohlockens, die dem Jammertal der Welt entsagt haben, um dort die Pläne jenes Klosters zu entwerfen [3], in welchem anfangs genannte Zeichen einer aufgeschriebener Improvisation, entstanden sind.

Gnade walten lassen……Ein Akt der Erlösung und Befreiung der Seelen, eingeläutet durch einen Glockenton [4], jenen einfachen und grundmusikalischen Stimulus des Andenkens, an die eigentliche Bedeutung des Lebens und Sterbens.

Aylers Interpretation von „Goin home“ [5], Anklang in den Ursprung zurückzukehren, drückt diese Sehnsucht nach Weite und der Vereinigung mit unserer Herkunft in der Zeitloßigkeit aus. Welches dann auch ein Bekenntnis personaler und kultureller Vergänglichkeit ist, hier gezeigt am Schicksal eines Indianers. s.a. CODA / Goin home, S. 63 / Anhang

Es mag an Szabados [6] späte Komposition “The land of Boldogasszony“ erinnern, welche in ihrer einfachen und Weite verströmenden Textur, der Wortbedeutung nach „Mutter Gottes und All-Hervorbringerin“, ebenso die Sehnsucht an ein Land unserer Herkunft anklingen lässt, jenen Ort der Heimkehr und Einswerdung, welche die irdische Getrenntheit erst sinnfällig werden läßt. [7]

Viele Liebeslieder, z.B. bei den Sufis, oder jene der mittelalterlichen Minne, auf die sich Szabados in einem seiner Titel bezieht, erzählen von jenem „Jammer“ und sind von einer ursprünglichen Klage nach „dem Geliebten“, der sich in Gestalt einer Frau äußern mag, im Grunde aber eine Preisung des „inneren Geliebten“ darstellt.

Letztlich die Suche einer Verbindung mit dem tieferen Selbst. Und als weitere Ausrichtung eine chymischen Hochzeit, welche die Vereinigung mit den geistigen Aspekten der Außenwelt anstrebt, die sich „hinter“ der Sinnenwelt verbirgt.

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[1] s.a. Herz Sutra

[2] als dieses geschrieben wird, taucht Bernd Konrad in einem Konstanzer Lokal um die Ecke auf…

[3] St. Gallener Klosterplan

[4] Liner Notes zu The Land of Boldogasszony / Boldogasszony földje

[5] Going Home, Albert Ayler

[7] Audio Datei: Nr. 5 “the land of Boldogasszony”

Die Wachrufung von Resonanz, von Mit- und Gleichschwingung ist wesentlich, um mit einer gestaltenden Kraft, dem Vielen von multirhythmischen und polyphonen Prozessen im Spiel nicht nur Stand zu halten, sondern diese in ästhetische Formen zu schmieden, die dann zur Erzeugung neuer Gestalten wieder eingeschmolzen werden können.

Dass diese Allegorie sinnfällig ist, wird belegt durch den Mythos, nachdem die Idäischen Daktylen, dämonenhafte Wesen und frühe Entdecker und Bearbeiter von Kupfer und Eisen, die Urheber der Schmiedekunst wie auch die Erfinder der Musik gewesen sein sollen. Die Geheimnisse der Musik müssen also nach einer dieser Überlieferungen mit der Schmiedekunst in Zusammenhang gebracht werden , da selbst noch im frühen Mittelalter der biblische Schmid Tubal von Isidor als Erfinder der Musik aufgeführt wurde. Dass über die Kunst der Metallurgie eine Nähe zu Alchemie und anderen magischen Künsten gegeben ist, passte zu der Vorstellung des Zauberns mittels Klängen.

So gehört es vor allem zum pianistischen Vorgang des Hämmerns der Saiten aus Stahl, die im Bassbereich mit Kupfer umwickelt – und auf einer Gusseisenplatte in Flügelform aufgezogen sind, welches man als eine Form des Kunstschmiedens bezeichnen könnte. Über die frühe Sage des „Pythagoras in der Schmiede“, der dort unter dem Eindruck des Klangs von fünf nacheinander und gleichzeitig auf Kupfer und Eisen aufschlagenden Hämmer, die Geheimnisse der Intervallverhältnisse, also die Grundlagen der Musik einsichtig geworden sein soll, sei an dieser Stelle hingewiesen.

Szabados zitiert Béla Hamas in seinem Vortrag über „Béla Hamas und die Musik“, mit den Worten: „Klang ist das Feuer der Materie“, ein Phänomen also, welches die Materie zum Glühen , ins Leben bringe, mithin das Enzym welches weitere Wandlungsprozesse erst ermöglicht, also der Materie als ein geistiges Agens „vorgelagert“ sei.

Nur wer am Spielbeginn das Geheimnis der Resonanz erlangt und praktiziert, ist in der Lage im Weiteren auch eine Information zu übertragen, da sich diese nach dem gleichen Prinzip des resonare transferiert, mit dem sich der Spieler in seinem Prozess verbindet. Anderes läuft Gefahr Stückwerk zu bleiben, oder allenfalls eine Aneinanderreihung von veritablen Effekten, die einen gelangweilten Geist der Ablenkung Preis geben.

Spirituelle Kraft wird nur via Resonanz geboren und ist gleichsam Geburtshelfer der die Botschaft aus einer beschatteten Höhlenwand in den Tag stellt und zur Wandlung seiner Zuhörer wesentlich mit beiträgt. Der paradoxe Zustand, der es ermöglicht über eine so verstandene Praxis das Eine auch im Vielen zu wahren und zu erfahren, ist etwas was wir schwer begreifen, umso mehr aber erleben können.

Oder wie Szabados sagt: „Ich bastle nicht aus dem „Vielen“ das „Eine“, sondern ich öffne das „Eine„ zum organisch „Vielen“, worin doch trotzdem immer alles das „Eine“ bleibt.“ [1] Meister Eckhart würde jene  Schöpfung aus den tiefen Gewässern seiner Predigten als Vorwort zu Mystikern des frühen 20. Jhdts. voran gestellt haben. In Worte gegossen von Rainer Maria Rilke, der den scheinbar simplen Erkenntnissen immerhin noch das Diktum mit auf den Weg gab, nachdem „das Leben schwer aus Einfachheit sei“. Anders formuliert: Nur das Einfache trägt in sich das Viele, welches als Solches das Einfache in sich aufbewahrt. 

Die Kraft also das Viele nicht nur als Ausdruck des Einen zu sehen, sondern während seines Entstehungsprozesses sprichwörtlich zu formen, ist Wesensmerkmal der Praxis von Szabdos.

Was allerdings das Eine sein soll, können wir im Gegensatz zum Vielen eher schwer sagen, was in der Natur der Sache liegt. Einfach ist „da“. Viel ist „da und dort“. Da und dort ist noch mehr. „Da“ ist an ein W-Ort geknüpft, an einen Ton, einen Laut, einen Vokal, am Ende eines Hauches. „Viel“ ist eine Herausforderung unter Wahrung des Einen, sich gestaltend im Dschungel der 10.000 tausend Dinge zu bewegen und scheidend und wählend bewusst zu bauen.

Von dieser Realisierungsmöglichkeit her gesehen hat Szabados eine unmittelbare Nähe zur griechischen Antike, hier insbesondere zu den Pythagoräern, deren Anliegen es war, über die Erkenntnis der Harmonie der Welt „da oben“, den Menschen „hier unten“, dem allzu Vielen, mit einer sphärischen Harmonie, der Balance allen Lebens bekannt zu machen, zu Einen und somit zu heilen.

Dass dieses in einer archaischen Zeit der vorchristlichen Jahrhunderte einfacher zu sein schien als heute, nehmen wir allzu schnell an, sehen dann aber an der Komplexität philosophischer Texte, dass „das Problem Mensch“ damals im Wesentlichen dasselbe war wie heute. Was sich geändert hat, ist die Fülle der Medien, die ungeheure und auch beängstigende Vielfalt und Masse von Ausdrucksmöglichkeiten, die aber alle unwirksam oder gar zerstörerisch wirken oder bestenfalls Unterhaltung sind, wenn sich der Musikerarzt heutiger Zeit seiner Resonanzfähigkeit nicht bewusst wird und folglich wenig zum Wohle seiner „Patienten“ praktizieren kann. Musik wird dann zum Placebo Effekt zum scheinbaren Stimmungsmacher, der an Symptomen laboriert, nur um noch mehr an Placebos umzusetzen.

Wenn Szabados das „Eine“ als eine „Intimität des Anfangs und des Endes, worin es enthalten ist“ [2] bezeichnet, welches eben keine Abstraktion darstellt, so steht jede musikalische Handlung auf dem Prüfstand nach ihrer Aussagekraft, letztlich ihrem Wahrheitsgehalt und ihrer Authentizität, was eine unbedingte Herausforderung an den Spieler darstellt. Das was „nicht zu haben ist“ immer wieder zu leben, zu sein, es selbst immer wieder neu zu werden. Wir üben beständig den Anfang, das Eine, um darüber und durch dieses hindurch uns in der sich daraus entwickelnden Welt des Vielen zurecht zu finden, diese zu gestalten, sie nicht nur zu ertragen, sondern im Bewusstsein des Nicht-Zwei, des Ungetrennten in einen Tanz des Daseins zu formen. „Zen Geist Anfänger Geist“. Vielleicht war dieser Satz Szabados bekannt.

Destruktive Kräfte treten dann auf, wenn dies nicht mehr erkannt und gelebt werden kann, wenn die Adepten gleichsam herausfallen aus dem Ordo virtutum, der Ordnung der Kräfte innerhalb des göttlichen Kreises (Hildegard von Bingen), der die Menschen einlädt sich mit diesem zu einen, wenn das Kontinuum des Vielen mit dem Einen und des Einen mit dem Vielen nicht mehr wahrgenommen, gelebt und kultiviert wird. 

Da dies eine Frage der Qualität ist, also einer Kategorie die durchaus auch ohne theologische Ikonographie auskommen kann, wäre dies grundsätzlich für jeden Menschen zu leisten, unabhängig ob er einer Religion anhängt oder gegen diese opponiert. Konsonanz wird nicht nur als Begriff der Intervall Lehre verstanden, sondern ist unmittelbare Aufforderung selbst in sich kon-sonare mit dem Göttlichen, dem Allgeist zu erzeugen.  

Ein Zusammenklang, der Einklang mit dem was gerade getan wird, das Schreiten auf dem federnden Seil zwischen den Knotenpunkten um nicht durch die „bezugslose“ Idee einer 12 Ton Musik zu fallen, die für Szabados dieses Kontinuum des Schreitens nicht nur in Frage stellte, sondern spürbar den Ordo „zerstören“ konnte, weil nichts mehr mit einem anderen verbunden bleibt, sondern jede Erscheinung, jeder Ton nur noch für sich existiert. 

Die Tatsache, dass ein Ton alle anderen in sich trägt und somit eine untrügliche Referenz der unmittelbaren Verbundenheit darstellt, ist durch die Obertonreihe gegeben, die in jedem Ton mitschwingt. Eines beinhaltet Vieles. Metaphysischer im Kontext buddhistischer Erfahrung gesehen: Leere ist Fülle (Form), Fülle (Form) ist Leere. Leere ist wirklich Fülle, Fülle ist wirklich Leere. [3] Wobei hier anzumerken wäre, dass mit Leere nicht ein „zivilisatorisches Vakuum“ (Szabados) gemeint ist welches in Depression und Zerstörung endet, sondern das undifferenzierte Eine, vergleichbar einer primordialen Arché, des Uranfangs.

Allerdings gelingt es auch in der 12-Ton Musik, durch weiterführende Methoden der musikalischen Handwerkskiste des Komponisten das Ur-Material des als „beziehungslos Definierten“ (es gibt keinen Grundton, alle Töne sind gleichberechtigt) in attraktive Erscheinungen zu versetzen, welche den Anspruch des Hörers auf „das Eine“ wachrütteln mögen, also ästhetisch anziehende Formen hervorbringen. Das Phänomen des Einen scheint also auch an dem Wie des Gebrauchs eines definierten Materials zu gelingen oder zu scheitern.

Atonal oder Frei-tonal zu spielen ist für Szabados also keine Frage des Materials und seiner theoretischen Deutung, sondern die gelebte Praxis und Qualität allheitlicher Resonanz. Nicht das Material macht resonanzfähige Schwingung, sondern der Spieler, welcher sich in Resonanz mit sich und dem Universum befindet, erzeugt über das Medium der Musik die Transzendierung des Vielen zum Einen. Mag es anders ausgesprochen, der Schöpfungsprozess selbst sein, der durch das Scheiden des Einen, das Viele in die Welt setzt um dort eigentlich nur sinnfällig zu werden, wo er dieses aus dem teleologischem spiel-haften Interesse an einer „höheren“ Ganzheit betreibt. Wenn dieses Interesse allerdings fehlt, wirkt Schöpfung zerstörerisch, wird den Kräften des abgründigen Spielraum gegeben.

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[1] Die zeitlose Botschaft der Improvisation

[2] ebenda

[3] Herzsutra

Szabados spricht von einer „neuen Sakralisierung“[1], als Weg einer Weihung und „in Dienststellung“ der Musikausübung, des Menschseins und seiner Handlungen, in eine Aura des ursprünglich Heilen und Heiligen, dem Hervorbringen des universell Guten in den Wesen, je nach ihrer Kultur in der sie leben. Schließlich bringt er den Begriff „Kult“ ins Spiel. [2] Dieser Kultus der Heiligung kann verstanden werden als Ritualisierung des Lebens im Allgemeinen in Hinsicht auf Ganzwerdung. Nun sind dieses große und geladene Begriffe, die auf Ungefähres verweisen mögen, von Welchem wir Verschiedenes meinen, da diese Praxis als lebendiger Akt im Westen kaum umgesetzt  und kultiviert scheint. Sakralität kann neben Ritualen, die meist in religiösem Kontext sichtbar sind, auch auf sehr subtile innere Handlungen und „Verfahrensweisen“ und somit auf einen eher intimen und privaten Charakter deuten .

Wenn Szabados in dem Zusammenhang über „den ungarischen Genius“ spricht, nähert er sich Sichtweisen an und reflektiert das auch, die  heutzutage eher als problematisch gelten, da hiermit nicht nur die Frage nach Identität, sondern einer spezifischen Identität des „Volkshaften“ gestellt ist, auch wenn er dieses ausdrücklich nicht als Frage einer DNS betrachtet. Da dieser Begriff, heute wie damals, propagandistisch-medial überladen und missbraucht ist, betritt er je nach Gesprächspartner mehr oder weniger vermintes Gebiet . Da sich Identität von jeher dem Zugriff von Macht und Systemen aber gerne entzieht, ja inhärent eine Definition durch ein System gar nicht übernehmen kann, entsteht von daher eine „gefährliche“ Situation für den an identitäre Prozesse sich Rückbindenden, wenn er dieses als Prozess der Selbstaktualisierung, der Befreiung von Schablonen und Propaganda und der Suche nach Wahrheit versteht. 

Identität ist  repräsentiert durch die je eigene Erfahrung und Reflexion eines Individuums. Dies ist einzig gültig  im Abgleich mit „Fremderfahrung“ und somit „Fremdwissen“. Genuin ist sie von daher frei und gerade auch dort, wo ein gesellschaftspolitisches System seine Tabus verwaltet. Das ist meist der Ort der Geschichte. Dass Macht, eine unabhängige und freie Betrachtung, jenseits die ihre Identität begründenden Mythen und selbst aufoktroyierten Weltbildern nicht mag, liegt in der Natur der Macht und dem damit einhergehenden Anspruch auf Deutungshoheit. Denn: “Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft: wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit.” [3] Geschichte eignet sich im Grunde aber nicht für identitäre Ausstattung im großen, kollektiven Stil, da sie dann zwangsläufig einer Vernutzung und somit einer faschistoiden Manipulation unterzogen wird.  

Allerdings soll hier darauf hingewiesen werden, dass selbst das Wort „Faschismus“ und dessen zu Grunde liegenden Ursprungsbedeutung und Etymologie im antiken Rom, in der Moderne über den Gebrauch nach der französischen Revolution und später Mussolini, einer Änderung bzw. selbst einer Manipulation unterliegt, da dort angesiedelten abgründigen Entwicklungen diesem zugeordnet werden. Faschismus im ursprünglichen Sinne ist positiv besetzt, bzw. soll die Macht einer Gerichtsbarkeit verkörpern, die seit der französischen Revolution vom Volk ausgehen soll.

Die Korrumpierung des Begriffes „Volk“ und „Faschismus“ und auch deren manipulativen Verwendung, ist den komplexen politischen Entwicklungen im 20 Jhdt. geschuldet.

Dass wir uns mit dieser Sichtweise Tabus nähern, wird sofort deutlich dadurch, dass obige Sichtweise im Verhältnis des mainstream sofort angreifbar wird. „Fasces“ meint Bünde und Rutenbündel. Reflektieren wir ein Rutenbündel wird deutlich, dass die kleineren und schwächeren Äste in die Mitte genommen, von den stärkeren im Außenbereich zusammengehalten werden. Ein ursoziales, positiv besetztes Bild, einer überschaubaren Gruppe von Menschen. Allerdings das, was man heute mit Populismus bezeichnet und von vorne herein in Misskredit zieht.

„Genius“, (lt. Szabados) „Sphäre des Werdens“ innerhalb einer Gemeinschaft, welcher durch Willen aus einem „Nichts“ hervorgebracht wird, ist für Szabados die Maxime, an der er sein Weltbild stetig formt und an der Peripherie einer Gesellschaft ausrichtet. Indem er konstatiert, dass Kultur, also umfängliches Wissen von Werden, Gestaltung  und Vergehen, nur auf dem Codex sich ereignender Kultur, die ein „Produkt“ der Vergangenheit ist, weitergegeben werden kann, entsteht für den nicht wahrnehmbaren, quasi in der Latenz befindlichen Genius, die Prämisse und Aufforderung nach Anwesenheit und Handlung als pädagogischer Impuls. Die Not der Gemeinschaft, ihre Orientierungslosigkeit ruft den Verborgenen zur Offenbarung. 

Indem Szabados „den Geschmack“ als Kategorie und Pendant zur Logik einführt, zeigt er im Rahmen einer argumentativen Sackgasse, dass die Sphäre einer subjektiven inneren Wahrheit, einer als objektiv angesehenen und für echt attestierten Sphäre, dem „mainstream“ sozusagen, als authentischer gegenübersteht und diese „unsichtbar“ überwächst. Geschmack in diesem Sinne,  braucht keinen wissenschaftlichen Beweis, setzt allerdings eine gewisse Bildung und Bewusstsein voraus. Sein Pendant (des Geschmacks) wäre „die Meinung“, die unverbindlich und insofern verantwortungslos bleibt.  Geschmack allerdings steht für das, was er schmeckt. 

Er (der Geschmack) ist ein Fakt der individuellen Tiefe und muss sich in der Gratwanderung zwischen Oberfläche, Selbstbewusstsein und beständigem Forschen und Lernen bewähren.

Indem sich Szabados auf das „innere So-Sein“ als Grenzzustand einer Anwesenheit des Genius bezieht, erreicht er eine metaphysische Betrachtungsweise des Seins, die sich in manchen Sutren des Zen Buddhismus ausgedrückt findet.

Die „So-Heit”, das „So-Sein“ sind dort Umschreibungsversuche im Rahmen eines praktischen Zen Studiums, die den unmittelbar in Aufmerksamkeit anwesenden Geist auf den Augenblick im Da-Sein „verpflichten“, ein Ort der gleichzeitig mit „Allem“ verbunden ist.  D.h. eingedenk der Übung des Atems und des Koans, achtsam und gegenwärtig im Augenblick zu verweilen. Die Dynamik welche dadurch entsteht ist nur Begriff für den Übenden und kann schwerlich für einen Außenstehenden einsichtig noch eigentlich vermittelt werden, da die Betrachtungsqualität von Subjekt und Objekt, der Welt der „reinen Unmittelbarkeit und Gegenwärtigkeit“, nicht zugänglich ist.

Unmittelbarkeit kann nicht vermittelt, sondern nur im praktischen Üben jeweils an sich selbst erfahren werden. Dies setzt allerdings den Genius (loci) voraus, einen Bezugspunkt und Ort, den Vorausgegangenen und Lehrer, der seine Augen und Ohren nah am Herz des Schülers hat, auf dass dieser nicht die Balance verliere, oder dem abschüssigen Weg folge.

Allegorisch gesprochen. Béla Hamvas, den er zitiert, mag wohl richtig damit liegen, wenn er erkennt, dass „Narr der sei, der sich nicht für die Ewigkeit einrichte“. Mit dieser zunächst frappierenden Aussage, denn wer will schon Narr sein, trifft er den Punkt. Keiner lebt allerdings ewig, sondern im Grunde „nur“ für den Augenblick, indem wir allerdings auch gleichzeitig sterben. Dieses Paradoxon bringt uns in die Nähe des Transzendierens von Leben und Tod, welches nur über das „Narr sein“, des auf den Kopf stellens, möglich ist .

Denn erst wer die Relativität seiner Existenz erfahren hat und dadurch zum Narr wird, weiß was die von Macht und Religionen  unterschiedlich gehaltenen Pole von Leben und Tod eigentlich bedeuten. Eine Narretei des Unterscheidens, in einer Welt des immer gleich Unterschiedlichen. 

Denn sie sind ihrem Wesen nach Eins. Ob nun diese Erkenntnis nur ein „fernasiatischer Trick“ ist, sich Leiden zu entledigen, oder die Quintessenz abendländischer Philosophie mit Rückgriff auf die Antike, wird jeder für sich erfahren müssen. Und doch……Was wissen wir schon…

Das ist die eine Interpretation. Die andere, die Szabados ausführt, wäre jene sich in der Ewigkeit quasi „einzurichten“, über die Freiheit eines nur kleinen aber bestimmten Wissens, das nötig sei, um über „Atemgewissheit“ am zeitlosen Strom teilzunehmen. Genius sei das Bindeglied von dieser der Zeit unterworfenen, zu der anderen, der zeitlosen Welt. Szabados widerspricht der Welt des Partikularen, indem er in mystischer Manier die All Einheit alles Existierenden ja selbst des Leblosen beschwört.

In Ergänzung zum unwiderlegbaren Gottesbeweis in Sloterdijk’s Essay „Im Schatten des Sinai“, in welchem er am Ende Friedrich den Großen den Grafen Reventlow zur Verifizierung antreten und diesen mit: „Jawohl Majestät, die Juden“ antworten lässt, bemüht Szabados Gilbert Keith Chesterton, der für diesen Beweis „den Lichtmast“ als untrügerisches Indiz ins Gespräch bringt und somit mindestens eine geistreichere Variante einer Erklärung des Unerklärlichen bemüht. Weil alles über Gott berichten würde. Nämlich sogar dieser Lichtmast und jenes was ihn zusammenhalte. Und selbst wenn es der Teufel, als ein Aspekt göttlicher Sphäre sei, bleibt jene hintergründige Kraft bestehen, die nun mal Gott genannt wird. Alles ist, weil es ist, auch wenn es stofflich nicht mehr ist, nur eine einzige Epiphanie Gottes.

Ein „Beziehungsspiel von zwei Klängen“.

Indem Szabados z.B. Sándor Karácsony zitiert, der dem ungarischen Volk eine Denkweise zueignete, die Östliches wie Westliches integriert und dessen Existenz als Brücke verstanden werden könne, nähert er sich einer philosophischen Praxis an, die sich z.B. auch im buddhistischen Denken ausspricht. Der Integrationskraft der Einheit, „des Vielen mit dem Einen“.

Sakralisierung kann zumindest keine bloß spielerische Beschäftigung eines Elfenbeinturm Bewohners sein, sondern fordert die ganze Existenz eines Adepten, die Heiligung seiner Lebenspraxis im Sinne einer vertiefenden Hinwendungen zu den wichtigen Fragen des Lebens und Sterbens. Dort hört für gewöhnlich der „Spaß“ auf und mag gelegentlich zu jenen problematischen Wendungen führen, wie ein deutscher Philosoph meint: „Dass nämlich auch bei den rohesten Völkern die Sprache der Religion immer die älteste, dunkelste Sprache sei“, mithin jene zu einer gewaltneigenden Sphäre, um aus archaischen Bedürfnissen einen Zusammenhalt einer Spezies zu bewerkstelligen. s.a. [4]

Wer identitären Referenzen, die immer auch mit Geschichte und Geschichtsschreibung zu tun haben, keine Bedeutung mehr beimisst und somit jener Erkenntnis von Wilhelm von Humboldt verlustig ginge, da „nur eine Zukunft hat, wer die Vergangenheit kennt“, kann schwerlich von sich sagen, dass er z.B. Amerikaner sei, bloß weil er einen Eid auf die amerikanische Verfassung geleistet hat, oder Deutscher oder Israeli, da er gerade einen Pass von einer Regierungsadministration dieser Länder erhalten hat.

Schließlich hat er, geht man seine persönliche Geschichte auch über die Generationen zurück, eine Herkunft die außerhalb des Kontinentes liegt (im Falle Amerikas und Israels) und dort in spezifisch-soziokulturellen, geschichtlichen und religiösen Umständen eingebettet war, die jenen in denen er sich nun befindet meist kaum entsprechen.

Szabados allerdings kann kein Abbild einer Heilsfigur werden, genau so wenig wie die sogenannten Religionsstifter eine solche Figur verkörpern wollten, die ihnen von nachgeborenen Legendenbildern aufoktruiert wurden. Bestenfalls ist sein Impuls Aufforderung, eine Referenz auf jene Art und Weise, wie sich Nachkommen unter dem Dach der Musik und darüber hinaus  versammeln könnten.

Vielleicht war die Französische Revolution der Beginn der Zerstörung jener „Verbindungslinien des Einfachen“ in der Neuzeit, in der die jakobinisch gesteuerte Revolte der allzu Vielen, diese Kohärenz in großem Stile vernichtete und einer Neudefinition „des alles Gleichen“ (Einfachen) unterwarf. Propaganda des Einfachen und nicht näher bezeichneten aber wirksamen Image Gebarens der Hoffnungssphären der Vielen.

Soziologische grobe Prozesse so gesehen, also falsch verstanden, bzw. in den „Raum des Geistigen“ eindringen ließen wo diese letztlich nichts verloren hätten?!?

Oder entspräche eine solche Realisierungsweise nur einer elitären Haltung, quasi dem Dunstkreis einer anders gearteten konservativen Revolution, einer Bewegung, die sich angeblich allem Neuen und Fortschrittlichen entgegenstellt, weil sie dahinter Mächte der Zerstörung des Identitären wirken sieht ?!?

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[1] in: Die zeitlose Botschaft der Improvisation

[2] in: Die Macht des Unsichtbaren, Musik Kult , Genius / Interview mit Régheny Tamás veröffentlicht 2003

[3] Georg Orwell in: 1984 / S. 308

[4] Sloterdijk „Im Schatten des Sinai“ S. 16 / Zitat Gottfried Herder

Schöpfung wird bei Szabados zum Zeugen und Geboren werden in Einem, dem Hämmern der griechischen Antike an ihren Figuren, ohne ein Vorbild der Sinnenwelt hinzu zu nehmen. Die Projektion der Idee entpuppt sich im weiteren Verlauf als Vorauseilen irdischer Sinnlichkeit. Von daher gesehen, auch in den Abgründen ihrer späteren Geburt in himmlisch irdischer Erfahrung, hindurchwandernd durch die Sphäre des Nichtwissens, um in originärer Kraft wieder ans erdhafte Tageslicht zu treten.

Die Aussage Bartóks, die Szabados in einem Interview zitiert, geht von der Prämisse aus, dass ein fundamentaler Prozess des Fortschreitens zu Gunsten einer „Wandlung des immer Gleichen“ aufgegeben wird. Das hieße, dass immer ein Kontakt zum Ursprung gegeben sein muss und von daher, in einem Prozess des Umkreisens eine Form zu initiieren sei. Wandlung impliziert Kontinuität und Wissen um Ursprüngliches, während Entwicklung eher den technischen Aspekt eines Fortschreitens und Entfernens vom Ursprung nahelegt. Den Bruch und Haitus welche wir vorwiegend  seit den Zeiten der französischen Revolution erleben, mag mit all ihren Erscheinungen von  wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zerwürfnissen mit  dazu gehören.

Während Szabados in den ehemaligen Fürstenräumen, seinen Fingern freien Lauf ließ, verwandelten  sich die Anwesend-Abwesenden gleichsam zu einer Schar von irrlichternden Laien, je nach selbstgewählter Funktion, von Hebammen, Gynäkologen und Predigern der inneren Stimme, manche gar zu Vertretern einer  Alimentierung geistiger Prozesse, durch Kraut aus heimischen- und Chemie aus Schweizer Landen.

Alle rotierten verbunden über das Echo ihrer Ohren in einem paradoxen Zustand eines prozessualen Geschehens, welches ein Vektor nahelegt, um doch ständig zu bestätigen, dass es kein weiter, kein „hin“, keine Entwicklung gibt, sondern nur  jenes Absurdum, welches immer dann auf den inneren Plan tritt, wenn die eigenen Schubladen klemmen, keine Dioptrie mehr für den Durchblick taugt und am Ende das Individuum vor der Wahl steht, sich entweder zu wandeln, oder die Eintrittskarte unter Protest zurück zu geben und in Regress zu gehen.

Szabados ließ nichts unversucht die Erkenntnis einer Nicht-Entwicklung von Musik (Bartók) über die manische Kraft der Rotation um das Eine, in ein kategorieloses Strömen umzuformen und so den Paradigmenwechsel über die praktische Lehrstunde höherer Optik, in eine bleibende Erfahrung nie gekannter Durchhörbarkeit hinüber zu retten.

Es war klar. Hier bewegte sich eine zukünftige Jüngerschaft auf unglaublichem Pfad, dessen Erinnerungsimpuls wohl mächtiger sein wird, als die Fassbarkeit des Unbegreiflichen zum Zeitpunkt des Geschehens selbst. So stieg dieser Ungar, der in späten Jahren den Kossutpreis (für Ungarntum) erlangte, aus dem Nichts in jene europäische Mitte auf, die scheinbar schon verblichen war und nahm in einem belebenden Akt der Wachrufung einer Reihe von Geistern und Zeitaltern, die in der Kür des Meisters an seinen Adepten vorüberzogen, seine Anvertrauten mit in den Bann zeitlosen Geschehens. 

Szabados definierte das Verständnis des Musikers und Komponisten, wie auch jenes seiner Zuhörer neu, indem er „einfach“ dort anknüpfte und ausgrub, was die Komponistengenerationen der Neuzeit mit großartigen, schriftlich fixierten Werken „zugeschüttet“ haben, ohne dies zu wollen .

An dem Musikerkomponisten nämlich, der sein Wirken über die Praxis einer poetischen Imagination, gepaart mit konstruktivem Willen darlegte, bis er sich selbst von der unheimlichen Ruhe verdrängt sah, die in der Sphäre mancher Komponisten herrschen mag. Nämlich der Emanzipation des Musikers, von dem Diktat einer als absolut verstandenen Partitur, die das Band der Re-Sonanz durchschnitt, die Eigenschwingung des Musikers kunstvoll ausklammerte zum Preis des Grandiosen des Werkes, was schließlich zum kompletten Verlust einer zum ganzheitlich neigenden Figur des Musikerkomponisten führte. Nicht mehr rief der Musiker mit seinem Spiel die Götter an, sondern er betete fortan seine Vaterunser aus jener Partitur heraus, die ihm wie ein bedingt auslegebarer Vertrag auf das Notenpult gelegt wurde. Segen und Fluch der Notenschrift, die im Zuge bürgerlicher Entwicklung schließlich mehr und mehr zum Vehikel einer Unterhaltsamkeit wurde, die das Spirituelle, die Andacht, den Kultus und die Sakralisierung des Individuums  ausklammerte. Und eben  auch dort, wo noch Oratorium drauf stand, aber im Grunde nur noch der Sonntagsvormittagsgottesdienst als Vorspiel zum Schafkopf beim Dorfwirt übrig blieb.

Immerhin mutierte hier, die sich verflüchtigende Sakralität in eine Art Improvisation der Bilder, eine neues Spiel mit seinen eigenen Regeln und Andachten, welche in der Kirche nicht mehr geboten wurden. Das Profane wurde zum Platzhalter einer aussterbenden Preisung, vielleicht auch deswegen weil die Priesterschaft keinen Zugang zum Göttlichen mehr hatte und sich so jener Blamage ausgesetzt sah, die die Form der ehedem richtigen Verhältnisse zu purer Ritualistik entstellte.

Jener Vorgang der allerdings auch einem so genannt spontan Improvisierenden widerfahren kann, wenn er sich nicht in der Lage sieht, seine „niedere“ durch eine „höhere Kontrolle“ sprichwörtlich aufs Spiel zu setzen.

Wer sagt, dass konstruktiver Wille poetische Imagination ausschließe?!? Und vice versa? Imagination ist Voraussetzung für einen vom Willen umschmeichelten Schöpfungsprozess, das Locken des weiblichen an den männlichen Part, die Aufforderung beim Tanz sich gefälligst einem Rest an Formkraft zu erinnern, ein Vorgang der allzu leichtfertig mit dem Begriff Improvisation im Sinne einer dilettantischen Hilflosigkeit überspielt wird. Womit wir bei dem Dilemma eines etymologischen Unfalls angekommen sind, zumindest was die Bezeichnung einer Musik angeht, die aus Gründen des Komplexen, schon lange nicht mehr improvisiert genannt werden kann.

Im Zunftsaal jedenfalls lag der knapp 1 ½ stündigen „tour de force” der Tasten kein Notentext zu Grunde, obwohl es „wie notiert“  klang. Die Selbsterfahrung des Autors vorliegenden Essays bei einem eigenen Piano Konzert besagt, dass eine versammelte Fachschaft von „first class Philosophen“ nicht in der Lage war, einen gerade erfahrenen komplexen Spielprozess, als Hervorbringung des Einfachen zu Denken, in jenem Sinne, dass der Erzählfluss immer ein später Nachkomme eines bescheidenen Gedankens ist, mit der Neigung ausführlich zu werden. 

Dass das Ganze auch performativ, also ohne Schriftlichkeit gelänge, war zumindest jenen Philosophen nicht vorstellbar, obwohl sie gerade erlebt hatten, das Denken auch mit dem Knie (Beuys) funktioniert.

Von daher war es wohl die Dauer, die die Zeit ablöste und ein herunter gedimmtes Bewusstsein der Vibration, welches das Tag bewusste Amalgam einer unsicheren Deutungshoheit in ihre Schranken verwies. Das Denken streckte seine Waffen ob der fulminanten Klangkaskaden und die Rüstung einer individuellen Verteidigungsbastion von kategorisierenden Abwehrtechniken Adorno’scher Prägung, wurde durchlässig und versagte schließlich ihren Dienst.

Manch staunender Geist wollte es genau wissen, ohne zu ahnen, dass die Schärfe, die er anstrebte, aus eben jenem Diffusen kommt, welches er sich zu erklären versucht.

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Die Übereinkunft, dass Klang auf einer feineren Ebene, alles Weitere hervorbringe, weil nach neuesten und ältesten Erkenntnissen im Grunde „alles Schwingung“ sei, oder gleich alles fließe (Heraklit) ist weit verbreitet. Es lässt sich, entsprechend gestimmt, leicht annehmen und später quantenmechanisch in vulgo bestätigen, dass wir sowohl gleichzeitig überall und nirgends, wie auch ganz bestimmte und einmalige Wesen sind, welche mit zunehmender Reife und Reflexionskraft das Kollektive, quasi alles „drumherum“ zunächst gelegentlich angenehm und dann zunehmend deutlich eher ungemütlich in uns einsickern sehen, was gewissermaßen als Widerstand doch so etwas wie ein Ich auf den Plan ruft. Dann allerdings angereichert über die Alldurchdrungenheit von Schwingung im Auf und Ab des Lebens.

Wenn Szabados „Klang“ nicht nur als eine Information, sondern auch als eine Projektion des Seins bezeichnet, kann angenommen werden, dass „der Sender“ um im Sprachduktus zu bleiben, der Projektionsapparat, eine Instanz sein könnte, die nicht nur passiv Information bereit hält, sondern in einer dynamischen Weise auch auf Kommunikation ausgelegt ist.

Denn was macht es für einen Sinn, Information via Projektion, auch Hinwerfung, Sendung, oder Schickung, bereit zu stellen, wenn daraufhin kein Echo zu erwarten wäre?!? Dieses Echo aber ist Resonanz und deren Körper der „Körper Geist“, der Resonanzkörper des Musikers, der auf die Rhythmen und Klänge, die er spielt, jeweils auch Antwort bekommt, indem er sich mitschwingend und zurückschwingend in einem Gespräch mit seinem Spiel, wieder findet. Vorausgesetzt, er versteht Musikausübung als solche und nicht als Darbietung einer Unterhaltsamkeit.

Szabados spricht weiter vom Schicksal jedes einzelnen Tones [1], als sei dieser eine Sphäre des Menschlichen, der eine entsprechende Umsorgtheit zugutekommen solle. Eine solche Hinwendung und Belebung eines komplexen Schwingungsphänomens setzt ein feines Bewusstsein und Gespür über Entstehung und Wirkung von Schwingung voraus, die eben mehr sind als nur ein sinnlich wahrnehmbares akustisches Ereignis. Wenn also Bewusstseins Phänomene auch als Schwingungsaktivität bezeichnet werden können, so bedeutete dies folgernd eine gesteigerte Integrationskraft komplexer Vorgänge, wenn ein Individuum diese Phänomene z.B. als improvisierender Musiker zu bündeln weiß, hierarchisch gesehen vielleicht die Gegenwärtigkeit eines „höheren“ Bewusstseins.

Was allerdings Klang ist und was jenem zu Grunde liegt, lässt sich zumindest bis in die immer noch relativ groben Sphären eines 1 sekundigen Ausschnittes auf digitaler Ebene nur erahnen. Dort nämlich in dem 44.100tel Sample beginnen wir zu realisieren, dass dies nur die halbe Wahrheit ist. Weil digitalisiert. Denn nachdem wir dort weiter hinein zoomen wollen, sehen wir,…… nichts. Einen Spalt, den es bei seinem analogen Kollegen auf der Schallplatte oder dem Tonband nicht gibt. Dort sind wir noch nicht am Ende des Zooms angekommen. Das Auflösungsphänomen der digitalisierten Welt, die gerne zu Gunsten unserer beschränkten Ausstattung Schallwellen aufzulösen in Kauf genommen wird, ist in der Regel keinem bewusst. Von musiktechnischen Vorteilen der Weiterverarbeitung und Verbreitung ganz abgesehen, interessiert es auch kaum jemanden, dass Nullen und Einsen die akustische Schwingungswirklichkeit nur begrenzt abbilden können.

Ein anderes Phänomen ist aber die Ortung einer Schwingungswelle, auch Klang genannt. Da, wo der Kammerton eines Orchesters zum Kult um die 440 Herz wird, können wir alle noch mitreden, wenn wir über eine verkühlte Geige etwas unangenehm berührt, der Welt von Viertel- und Achteltönen gegenwärtig werden. Wenn alles schön gestimmt ist, was der Natur gar nicht wirklich entspricht, geben sich unsere Sinne gerne der Täuschung eines wohltemperierten also unrein getunten Klaviers hin. Hätte Johann Sebastian Bach „seinen“ Stimmer Werkmeister nicht beauftragt die Wolfsquinte zurecht zu biegen, hörten wir heute ein anderes Sein, nämlich jenes, was wir nach heutiger Gewohnheit „schräg“ nennen würden.

Klang ist also ein hochkomplexes Phänomen welches aus verschiedenen Bewusstseinssphären und Erfahrungshintergründen erlebt, eingeschätzt und auch „manipuliert“ werden kann und meist zu Unrecht ausschließlich mit dem Erscheinen von Musik in Verbindung gebracht wird.[2]

Immerhin „bediente“ sich Szabados, der „Verstimmtheit“ des präparierten Flügels als einer Art Code und Meta Sprache, mit welcher er zu jenen kommunizieren konnte, deren Ohren sich in Zeiten eines wachsamen Sowjetkommunismus, auf die Zwischentöne konzentrierten und nicht wie die meisten Betonköpfe und Apparatschiks in Ost und West einer schmalspurig veröffentlichten Meinung folgten. 

Wie Etwas, das Himmel und Erde verbindet, sei diese Sprache der Musik, die sich in ruhiger und ausgeruhter Kraft wie von selbst entwickelt, von der man glauben kann, dass sie abstrakt sei und für sich stehe, obwohl sie doch einen sehr geschichtlichen Hintergrund in sich trägt und gleichsam mit der Kraft des Atems, diesen in einer Weise zur Sprache bringt, die es dem Aufmerksamen erlaubt, Geschichte nicht nur zu ahnen, sondern diese auch zu entziffern.[1] Gleichermaßen eine Programmmusik, welche die inneren Sphären der Freiheit, des Tempelbezirks, in die äußeren Wirren der Welt stellt, um auf dem Marktplatz von der Schönheit zeitloser Wahrheit zu tönen. Jenen in Stein gehämmerten Figuren, die auf den Giebeln der Neuzeit bedächtig von einem Sein erzählen, das uns verlustig ging, an welches wir uns dann erinnern, wenn wir einen Mangel an Würde spüren. Wer Ohren hat, der höre….

Szabados inszeniert hier die Tragik um den ungarischen Aufstand, über seine wieder aufgetauchten Texte und setzt die Fragmente in eine Apotheose zu den Bruchstücken der Pergamentfetzen vom schwarzen Meer. So sinnbildert er ein Drama der Moderne, indem er es an ein archaisches Ereignis rück koppelt und ihm somit eine sakrale Bedeutung verschafft.

Über den schlafenden (bzw. erwachenden) Jungen im Film und die lunaren Bilder, die reine Potentialität des Bewußtseins verkörpern, erinnert die Arbeit Szabados und Gabriella Medgyes auf eigentümliche Weise an die Stimmung einer Nocturne und Cellokonzert von Tchaikovsky, verwendet in einer Montage von Bill Domingos, welches als ein Lehrstück des Eros nur noch erfühlt aber nicht mehr verstanden werden kann.  [1]

Auch wenn diese Verbindung hier unpassend erscheinen mag. Eros ist die Kraft der Beziehung, nicht nur im sexuellen Sinne, sondern überall dort, wo Leidenschaft mit im Spiel ist, gerade auch da, wo die Kraft der Steine Widerstand gegen einen Totalitarismus ankündigt.

„Sein“ impliziert gängiger weise Stasis, jenen Zustand also, der eher mit Ruhe, Ununterschiedenheit, gleichmäßigem Dahinfließen, einem gewissen Trott bis hin zur Stockung und schließlich solchen Lebenskünstlern beigeordnet wird, welche die Muße als ihr Mantra und Dauereinrichtung vor sich hertragen, unter gelegentlicher Absonderung schwer verständlicher und Kunst genannter Sprach- und Klangobjekte.

Orgelbauer wissen immerhin, dass ab einer 64 Fuß Pfeife, was einer Länge von etwa 20 Metern entspricht, nichts mehr gehört werden kann, dafür aber Schwingung die sich dem Infraschall nähert, gefühlt wird. Auch ab der fünfgestrichenen Oktave wird die Welt für uns zunehmend stiller, da wir uns mit dem Ultraschall in Gebiete bewegen in denen Fledermäuse ihre Beute über Schallwellen orten. Diese können in einem sackdunklen Zimmer mit dutzenden Fäden über das Echo des Ultraschalls immer noch den Weg zwischen diesen hindurch finden. Wir besitzen kein Organ welches Infraschall orten kann, wie dies Elefanten tun, die in der Savanne über 10 Kilometer hinweg ihre Ferngespräche führen, nicht etwa über die mehr oder weniger kunstvolle Anwendung einer archaischen Darmperistaltik, sondern über den Gebrauch ihrer Stimmlippen im Kehlkopf, mit denen sie sich über Futter oder aber auch der Dünnhäutigkeit einer entfernten Dame austauschen mögen.

Komplexere akustische Turnerei lässt sich leichter veranstalten, wenn wir uns näher an die nicht sichtbaren Wellen heranpirschen. Und vielleicht macht dies ja Sinn, da unser „Forschungsgegenstand“ sich in erster Linie als spirituelles Wesen, vereinfacht gesagt, auch als ein Schwingungsphänomen verstand, der Musik quasi als Sprache anwandte um von seinen Einsichten zu erzählen.

Das Faszinosum Klang ergibt sich allerdings nach Erfahrung des Schreibenden aus der Vorhandensein eines Phänomens, welches sich eher im rhythmischen Bausatz von Musikern und Komponisten tummelt. Nämlich aus dem Puls. d.h. einem originär eher quantisierenden Vorgang, der je nach Periodendauer als schneller oder langsamer wahrgenommen wird. Zu dessen weiteren Verständnis wechseln wir kurz in die Landwirtschaft.

Jeder kennt die alten Rituale, denen sich manche Bauern in Zeiten von Vatertagen und Kirchweihfesten gerne hingeben. Gemeint ist: Alte Traktoren fahren. Wer einen dementsprechenden Deutz- oder Hanomagtraktor hat anspringen hören, weiß, wovon die Rede ist. Nachdem der Anlasser gezogen ist ertönt ein tiefes und langsam schneller werdendes tok, tok, tok, tok, tok, tok………. ein deutlich wahrnehmbares Hämmern der Kolben, die langsam hoch laufen zur flotten Geschwindigkeit, bis der schneller werdende Einzelimpuls als solcher nicht mehr wahrnehmbar- und nur noch ein Diesel umschwadeter Ton mittlerer Lage auf dem Acker zu hören ist.

Was aber haben die „Traktorweisheit“, das Jagdverhalten von Fledermäusen und Kommunikationsverhalten von Elefanten, was hat die Welt von Ultra- und Infraschall mit Szabados’s Spiel zu tun und was meint er, wenn er von Klang als „Projektion und Information des Seins“ spricht?

Szabados erwähnt über die Struktur eines seiner Ensemble Stücke Folgendes: „[….] die wesentliche Identität des geraden, lang gehaltenen Tons und der Wiederholung, der Repetition, als das Phänomen einer doppelten Natur. Denken wir an die Doppelnatur des Lichts, wo die Teilchen-Natur die Repetition, und die Wellen-Natur die Permanenz ist[….] [5]

Wir können „den Klang als Information des Seins“ in vielfacher Weise erhören. Da ist zunächst die uralte Frage nach dem Sein, die im letzten Jahrhundert von Martin Heidegger auf radikale Weise neu gestellt wurde, mit der Folge seiner Erkenntnis, dass Philosophie eigentlich am Ende sei und seine Sprache sich gelegentlich in einer Weise zeigte, die man gerne als performatives Sprechen, also einen irgendwie gearteten musikalischen Akt bezeichnen könnte. Böswillige Geister würden dies an partiellen Textstellen auch als kunstvolles Schwafeln bezeichnet haben, was schließlich in unvermeidliches Schweigen mündete.

Ob der Eindruck eines Pulses, das rhythmische Phänomen des „tok“ beim Traktor, also eher da war, als sein inhärentes Schwingungsgeschehen, das auf einer früheren und vorausgehenden Stufe in die Existenz kommt, ist ebenso unerheblich, wie die Frage nach dem zuerst jener Erscheinung von Ei oder Huhn. Dem Sein, was auch immer es sei, eine Informationskapazität zu zueignen, die mit Klang in Verbindung steht, heißt auf jeden Fall, die Frage nach dem Sein im Rahmen eines Schwingungsgeschehens zu stellen.

Wenn wir annehmen, dass alle Materie verdichtete Schwingung ist, das Wissenschaft annimmt,  dass selbst unsichtbares Geschehen, wie unser Denken, in Wellen „gemessen“ werden kann, kommen wir in eine Dimension, in der sich die musikalische Totalität des Seins als Dauerton am Horizont mit dem weißen Rauschen des Meeres paart.

Wenn nun die These „Klang ist eine Projektion, eine Information des Seins“ stimmt, fragt man sich welcher Natur diese Information ist und was sie beinhaltet, und wenn es eine Information sein soll, was sie bereit hält oder gar mitteilen will. Das Traktorbeispiel könnte eine Brücke sein, das Thema weiter zu vertiefen und von dort in einen zwar sinnlich wahrnehmbaren, gleichzeitig aber transzendenten Bereich vorzustoßen.

Wenn sich ein Musiker mit den Verhältnissen einfacher Intervalle wie Quinte, Quarte und deren weiteren Obertönen erlebnismäßig verbindet, sich also auf deren Schwingungspotential einlässt und mitschwingt, wie dies (nicht nur) Szabados zu Beginn seines Spiels oft tat, liegt es nicht fern anzunehmen, dass bei komplexeren Schwingungsverhältnissen von weniger einfachen Zahlenverhältnissen und schließlich deren Anhäufung, auch Akkorde genannt, das Mitschwingverhältnis „schwieriger“ wird.

Um also von den eigenen Bauwerken schwingungsmäßig nicht erschlagen zu werden, muss dem Adepten eine irgendwie geartete „höhere“ Integrationskraft eigen sein, außer er wäre akustisch Seelenblind und würde nicht erkennen und erleben was er tut. Es muss einen organischen Zusammenhang geben, der diese Integration bewirkt, da ansonsten das Bauwerk den Baumeister zerstören würde. Er hielte die Schwingungskomplexität nicht aus. Man kann sich leicht vorstellen, wie ein archaischer Mensch aus vorzeitlicher Sphäre z.B. auf eine Beethoven Symphonie oder ein Cage Stück reagiert hätte. Anzunehmender Weise mit Panik, vielleicht wäre er gestorben, oder sein Gesicht wäre in ein zeitloses Lächeln übergegangen. Es muss also an unserem Gehirn, an unserem Vermögen Bewusstsein zu bilden liegen, höhere Komplexitäten zu verstehen, diese zu integrieren und als ästhetische Qualität zu erleben oder aber auch eine Missinterpretation auszulösen .

Und schließlich gibt es ja Musik, die in uns sehr verschiedene Gefühls- und Seelenzustände auslösen kann, auch hin bis zur Angst. Warum ist das so?

Dass bei Szabados, wie auch einem seiner Mentoren, Béla Bartók, das morphogenetische Feld ihrer Herkunft eine wesentliche Rolle spielt, zeigt sich in ihrer Bezugnahme auf die ungarische Kultur insbesondere jener der „einfachen“ Bauernmusik. Ein Ruf der immer auch ein Echo aus einem Davor oder Daneben beinhaltet und nie vollständig autonom und originär sein könnte, wenn er sich nicht verbände mit dem, was unabhängig von Zeit im Lebensfeld passierte und sich zuträgt. Dies entspräche nicht der Natur des Lebens.

Den Gedanken einer Allverbundenheit assoziieren wir allerdings für gewöhnlich mit östlichen Philosophien, da westliche Gesellschaften eher dem Isolationsprinzip folgen, nachdem der Einzelne „Es“ schaffen kann. Trotzdem gelingt ein Orchesterstück nur wenn Alle zusammen wirken.

Die Frage nach dem „Woher“ des Klanges bildet sich schon in einfachsten evolutionären Prozessen, die ohne Kohärenz nicht stattfinden könnten.

Insofern ist das digitale Zeitalter, welches in der Audio Aufnahmetechnik nur bedingt abgebildet werden kann, nämlich die besagten 44.100sten Teile, hier Sample, nicht nur Sinnbild und Menetekel des Hiatus und seiner Konsequenzen, sondern vielmehr praktisches Ergebnis einer Welt welche diese Kohärenzen nicht mehr wahrnimmt. Uns fehlen sprichwörtlich und zunehmend  die Organe hierfür. 

Klang als „Information und Projektion des Seins“, beinhaltet also weit mehr als jenes was wir mit unseren Ohren hören und folgend als ästhetische Kategorie erleben können. Die immanenten Sphären, dieses Phänomens sind im Grunde geladen mit Geist und warten auf die Deutung aus einer übersinnlichen Sicht heraus. So jedenfalls versteht Szabados den Klang als Botschaft einer transzendenten Welt.

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[1] in: Die zeitlose Botschaft der Improvisation

[2] Die geheime Geschichte der Ereignisse

[3] „the secret history of the events“

[4] Bill Domonkos / Tchaikovsky, Nocturne

[5]in: Die Macht des Unsichtbaren, Musik Kult , Genius / Interview mit Régheny Tamás veröffentlicht 2003

Kaskaden von pentatonischen Verflechtungen reihten sich an späte Erinnerungen des Sacre und des Feuervogels, der die Asche von seinen Unterarmen schüttelte, als wäre Wiederauferstehung eine lockere Jonglage mit den fünf Elementen, die sich auf den Tasten eines frohlockenden Steinway Flügels versammelten. Die sich erhebende Schwingungschoreographie war eine geladene Mischung aus Warnung vor Kommendem und der Vorfreude auf Erlösung, gleichsam das Bekenntnis einer Unvermeidlichkeit von Gutem im Schlimmen.

Und dann erschien er aus dem Nichts. Der metallische Ton mehrerer durch Büroklammern verfremdeter Saiten. Jenes langsam beginnende und über die pianistische Dauerübung der ersten 3 Finger in stetigem Puls die Geschwindigkeit hochschraubende und schließlich in einem Klang verschmelzende Hämmern, das sich hier wie das Rattern und Tönen einer mechanischen Nähmaschine anhörte. Eine Reihung von schneller werdenden Impulsen, die schließlich in einem Ton stehen zu bleiben schienen. Die Paradoxie einer Stasis als Ergebnis höchst dynamisch-impulsiven kinetischen Geschehens macht das frühe Traktorerlebnis als hochkünstlerische Performance in einem auditiven Raum der Zeitlosigkeit sinnfällig. 

Da ist es wieder. Das Phänomen der Repetition und seiner doppelten Natur. 

Erinnerung speist sich hier in einer Mischung aus dem sprichwörtlichen Handwerk des Pianisten, dessen repetitive Bewegung in freier Permutation die jeweils nächsten Figuren hervorbringt und jener projektiv-visionären Kraft, welche den Deklamationen altorientalischer Geschichtenerzählern zu eigen ist, die in der Entwicklung der Geschichte nach vorne, Vergangenes ins Jetzt hinein heben und Zeit in einen allgegenwärtigen Raum verwandeln.

Das Spiel Szabados war immer Re-Evokation versunkener Welten, die über die Kraft des Erzählers in ein anderes Jetzt gehoben wurden. Kultische Energie einer Anrufung , die ihrem Verkünder alles abverlangt.

Die europäische Weise des Erzähl Flusses setzt allerdings eine formale Kenntnis seiner Objekte, der europäischen Musikgeschichte ebenso voraus, wie Anklänge an außereuropäische Kulturen und Geschichte. Dieses Wissen bezieht sich ad hoc erinnernd und imaginierend auf eine vergangene Zeit, rezitiert nicht, sondern nimmt sie als Referenz und belebt sie über die Anreicherung eigener Energie in ein Neues, hebt wirklich nach langsamen Anlauf ab, steigt in die Höhe und fliegt. Das nach vorne Schreiten und nach hinten Sehen wandelt sich somit in einen Akt der Himmelfahrt, entsprechend dem überlieferten Satz des Meisters: „Wer fliegen will muss seine Technik beherrschen“.

Die Versunkenheit im Spiel, der intuitiv gesuchte Zustand, ist nur über das Spiel selbst zu „erreichen“, dann nämlich wenn „Tun“ transzendiert wird, indem der Spalt zwischen Subjekt und Objekt, dem Handelnden und dem Bewerten dessen was er selbst als Handelnder tut, wenn diesem „ranking Bewusstsein  die Luft ausgeht“.

Gleichwohl ist der Spieler in der Lage entscheiden zu müssen, in welchen Sphären er weiter geht, auf welches Material oder welche Struktur er zurückgreift. Was Schiller in seinem ästhetischen Verständnis an sich schon konzeptuell idealisiert, ist im Aufbau und Verlauf eines improvisatorischen Settings alles andere als ideal. Es ist der Weg eines unter „Stress“ stehendem Subjekts, dem Spieler, der diesmal nur aus seiner Erinnerung weiß, dass ihm in der Vergangenheit ein Zustand geglückt sein mag, dem er gerne ideell nachhängt, den er aber nicht per Mausklick abrufen oder mit dem „repeat Knopf“ einfach wiederholen kann. Es ist also eine Spannung zwischen größtmöglicher Unruhe und der subtilen Angst zu „versagen“ und eine diffuse Imagination nach Lösung, der „höchsten Ruhe in der höchsten Bewegung“ des Spiels zu „halten“ . Trotz imaginativem Procedere also einen „kühlen Kopf“ zu bewahren. 

Dieser Umstand des Eins-Seins, der immer dann eintreten mag, wenn sich Subjekt- und Objektbewusstsein über den energetischen Fallout eines Handlungsaktes transzendieren, ist das Ergebnis einer totalen Konzentration, die um den Preis einer „Selbstvergessenheit“ den Spieler ins „Weiter“ leitet, was qualitativ mehr ein „Tiefer“ ist.

Auch hier mag Einschwingung, ein  Prozess der Resonanzbildung von Spieler und Erspieltem von dem Szabados wiederholt spricht, jenes Werkzeug sein, mit dem die Diskursivität des Alltagsbewusstseins „überwunden“ wird. Die Qualität der höchsten Ruhe in der höchsten Bewegung, um Schiller’s Zitat etwas abzuwandeln, ist tatsächlich jener fließende Zustand, indem bedingt durch ein langes Training des Musikers, eine spezifische Haptik hervorwächst, die es ihm ermöglicht, auf dem Strom der Ereignisse zu surfen. Was sich eher technisch als Einschwingvorgang beschrieben lässt, gibt allerdings nicht jene Bedingungen wieder, unter denen der Spieler antritt und auch nicht jene Haltung und Befindlichkeiten, die seinem seelisch-geistigen Zustand entsprechen mag. Sein intimes inneres Gebet, seine „Zuflucht“ zu Atem, Mantra und Vision, bleiben der hermetische Bereich aus dem ihm seine Kraftquelle erwachsen mag.

Was treibt ihn an? Woher nimmt er die Gewissheit, dass er zur richtigen Zeit am rechten Ort ist? Was lässt ihn für sich und seine Zuhörer aufmerken und wieder in eine raumzeitliche Umgebungswelt „abschweifen“? Antworten auf jene und andere Fragen müssen weitgehend im Dunkel bleiben und sind es auch dann noch, wenn, wie bei Szabados, eine beachtliche Anzahl von Aussagen von ihm selbst zu seinem Weltbild und Spiel getätigt werden. Allzu schnell sind wir bei einer Annahme, dass jenes was wir hören, auch unserer Interpretation von diesem entspricht. Woher wissen wir welche „Hintergrundstrahlung“ bewusst und noch mehr unbewusst ein Mensch in sein Spiel mit einfließen lässt? Seine persönliche Geschichte, seine Lehrer und Studium, seine Initialzündung und die kleinen aber wesentlichen Erfahrungen, die ihn auf den Weg brachten.

[Überschrift] Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen

während des Hörens im Wohnzimmer von Rudolf Kraus, langjähriger Freund Szabados’s und dem „Archivar“ von „The World of György Szabados“ am 27.3.2016 in Retzbach 

(Skizzen unbearbeitet übernommen) […] Einfügung Nachhinein

…Die Alteration einer figurativen Filiation (hier metaphysisch verstanden), im engeren Sinne der transmittorische [von Transmission] Aspekt einer Entwicklungskette von Motivik, oder kontrapunktische und funktionsharmonische Fortsetzung durch ein jeweiliges kontinuierliches Eintauchen und Schöpfen aus dem der figurativen Welt vorgelagerten energetischen Sphäre, deren Verdichtung über die „Unterwanderung“ der vordergründig gewussten und geahnten Erinnerungsaspekte einer bekannten Form hinausreicht…. einerseits eintaucht, sich verbindet mit den Bedingungen kreativer Ausarbeitung im konkreten Sinn, andererseits die Negation dieser Ausarbeitung als Hindernis des Durchbruchs in die vorgewusste Welt zur Methode ausformt und somit die Musik generiert, die nicht ihre Ausarbeitung sondern die „Bedingtheit“ hierzu darstellt. Die Idee der Selbstkommentierung des Gewussten mit Vorbewusstem, oder auch mit originären Inhalten.

Dass diese Musikpraxis eine Öffnung hin zum Unbekannten mit all seiner Heimlich- und Unheimlichkeit fordert, eine Kapazität, die den „Fehler“ als wesentliches Element einer „besseren“ Daseinskraft oder überhaupt von Struktur und Gestaltbildung betrachtet, ist Herausforderung und Prämisse in einem Ensemble, welches im Tonsprachlichen nach den etymologischen „Bedingungen“ forscht, mit dem es die Sphäre des authentischen betritt. Authentisch aber ist was „Fehler“ zulässt, diesen als wesentliche Reibungsfläche erkennt, um mit dieser Erkenntnis weiter zu arbeiten.

Vormusikalische Programmatik stört diesen Prozess nicht, hilft oder bedingt sogar den Unterbau zu formen, auf dem sich diese Musikpraxis entwickeln kann. Reduzierte Ereignishaftigkeit, als Sammlung hin zur Wahrnehmung von formbedingten Voraussetzungen. Multiple Themen und Energiestränge als meta kontrapunktische Ereignisreihungen, die ein spiegelndes Bewusstsein voraussetzen um den ästhetischen Imperativ zu evozieren.

Die Musik der Bordkapelle der Titanic ist ein aus der Not geborenes kontinuierliches Agens mit Aussicht sowohl auf Finalität als auch Hoffnung auf eine Alternative. Wir haben keine Zeit mehr im Zustand des Sinkens der Bedeutung unserer formbildenden Kräfte allzu lange nachzuhängen. Schließlich verstimmte dann das letzte Mittel, das musikalische Gebet an eine imaginäre Kraft, das Opfer, dass das [Hinabziehende] doch noch in einen Aufstieg verwandelte. Daraus zu schließen, dass die Musik der letzten Stunde ein Notbehelf sei, geht genauso fehl, wie in sie eine Kunst der Transmutation zu implizieren. [Wenn nicht als auf dem sinkenden Schiff, wurde Improvisation zum existentiellen Begriff.]

Die Stasis als unvermeidliche Hingabe an Kommendes, dessen Unabwendbarkeit nicht mehr als Tragik, aber als Wendung vorbereitet wird, aus der möglicherweise neue impulsive kinetische Figuren aus dem gleichen Strom aufsteigen können.

Wenn Verrat [1] einen Bruch mit Übereinkunft und Überkommenem meint und der Dynamik einer noch näher zu bezeichnenden Unverbindlichkeit als fraglichem Ausdruck von Freiheit folgt, beklagt der ungarische Pianist und Komponist György Szabados in einem Interview von 2006 eine Haltung die solche Entwicklung eher fördert, als einem als Malaise erkannten Zustand entgegenzuwirken. Verallgemeinernd in einem Satz von Krishnamurti zusammengefasst: „Es ist kein Zeichen von Gesundheit, bestens angepasst zu sein an eine grundlegend kranke Gesellschaft“. Jene kulturgeschichtliche Entwicklung die zur Korrumpierung des sogenannten Künstlers und schließlich zur Preisgabe an die Gesetze des Marktes und der totalen Verwertung führt. Dort misst sich Erfolg, früher mit dem Wort „Wert“ belegt nun an den Verkaufszahlen. Dies ist der neue Maßstab und der diesem zu Grunde liegenden Berechenbarkeit.

Solcher Entwicklung sehen sich auch echte Connaisseurs musikakrobatischer Tonkunst ausgesetzt, die in den heiligen Hallen und traditionsreichen Erziehungsstätten wie dem Béla Bartók Konservatorium und der Ferenc Liszt Akademie in Budapest in den frühen 60-er Jahren des letzten Jahrhunderts ihren feinen Schliff erhielten. Zum Beispiel der kürzlich 75 Jahre gewordene Lajos Dudas.

Es macht immerhin nachdenklich, wenn ein früh erfolgreicher und bald darauf emigrierter Virtuose der Holzblattkunst in seiner Biographie beachtliche Werke zu verzeichnen hat [2] in denen er sich als Jazzmusiker explizit auf europäische und ungarische Musiktradition bezieht, aber im „Alltagsgeschäft“ des Überlebenskünstlers aus Gründen einer imaginierten Publikumsabsenz und vorauseilender Projektion eines dort angesiedelten flacheren Geschmacks, sein Können dem ranking von Zwangs nivellierten und verkaufsträchtigen Veranstaltern beiordnen muss. Wer kann heute schon von seiner wirklich kreativen Arbeit leben?!?

Bemerkungen, dass das was man da mache (CD „whats up neighbor“ [3]) zu dem für ihn unter dem Besten seit 20 Jahren gehöre, niemanden dies allerdings interessiere, ja sogar „der einfache Mann, wenn er zu seinem Entspannungsversuch am Abend in der Badewanne die Scheibe einlege, einem unerklärlichen Ertrinkungstod Preis gegeben sei“, drücken die lange Durststrecke zwischen Verwurzelung und „Blüte“ einer Entwicklung aus, die aus Lebenspraktischen Gründen einer gewissen Wirtschaftlichkeit unterstellt sein muss. Um nicht falsch verstanden zu werden. Guten Jazz zu spielen ist eine ziemliches Können und Lajos Dudas geht mit diesem um, so wie er kunstvoll seinen Hut trägt. Nie den Gleichen, immer wandelbar, ein feiner Habitus eines Königs der Improvisation.

Es mag aber als Hinweis gelten, dass der Zeitraum in dem sich der Verfasser dieser Schrift und Herr Dudas das erste mal trafen, jener war, als Szabados im März 2011 den Kossuth Preis erhielt, die CD „whats up neighbor“ (mit einer posthumen Widmung an G.S.) im Mai bei einem allerersten Treffen aufgenommen wurde und Szabados im Juni starb. Es könnte auf eine Verbindung „himmlischer Kräfte“ deuten, die dort walten wo keiner mit ihnen „rechnet“.

Szabados allerdings macht keinen Hehl aus seiner kulturpessimistischen Haltung wenn er konstatiert, dass die „Mentalität der europäischen Zivilisation auf einem Verrat, einer Preisgabe“ beruhe.

Indem er das Wort Preisgabe verwendet, spiegelt er unmittelbar eine Grundproblematik von Kultur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit (Walter Benjamin). Ihre Haltbarmachung und Vervielfältigung und deren folgenden Prozesse der Vernutzung und Verwertung, schließlich ihre Anpassung an den „herrschenden Geschmack“.  Aspekte die sich seit jeher der Tatsache einer geistigen Regsamkeit eher entziehen. Geist ist weder haltbar zu machen, noch lässt er sich im eigentlichen Sinne einem Utilitarismus unterziehen. Dort entschwindet er sprichwörtlich wie der Geist aus der Flasche, der dann allerdings zerstörerisch und zersetzend wirken kann.

Eine Welt in der noch die intimsten Dinge des Menschen nicht ihrer Vernutzung, also einem diesen aufoktroyierten kapitalen Zweck unterworfen wären, ist heute kaum mehr denkbar. Selbst der Sprache von kulturellen Ereignissen verschiedenster Sphären scheint eine Metaebene des merkantilen unterlegt zu sein, was die „Sache an sich“ in den Hintergrund treten lässt zu Gunsten ihrer Handelbarkeit und der Prämisse einer einfacheren Vermittlungsstruktur, die sich vormals nur durch die Hingabe an Gehaltvolles selbst entschlüsselte. Das Phänomen dieser Vereinfachung, welchem man z.B. gerne in der Geschichtswissenschaft begegnet, erobert mehr und mehr auch das Ausdrucksgebaren des Menschen, dort wo es um die Ersten und Letzten Dinge geht.     

Szabados bezieht sich in seiner kurzen Einlassung in o.g. Interview vielleicht nur unbewusst auf eine These die als „Untergang des Abendlandes“ schon vor Oswald Spengler in der Welt war und generell der geistigen Strömung, eines Neokonservatismus zugeeignet sein mag, gleichzeitig aber von gesellschaftskulturellen Auguren diverser Richtung oft in ebenso verächtlicher, wie hilfloser Weise gleichmütig geteilt wird. Wir wissen nicht mehr weiter und verstrudeln uns in immer tieferen Verstrickungen des Versuches einer Erklärbarkeit des Unerklärlichen und tänzeln auf den unlösbaren Problemen der Moderne und der westlichen Zivilisation, als sei es eine kurze Erholungsphase zwischen zwei Jogging Einheiten. Die Wahrheit ist: Uns geht der Atem aus, vor allem seine bewusste Anwendung. Odem, der einmal gleich gesetzt wurde mit Geist (Hauch), wird zunehmend zu einer Hybris welche der Flasche entwichen ist, sein Geheimnis verloren hat und nun zum unbeherrschbaren Dämon wird.

Die Frage, was durch die europäische Zivilisation verraten und Preis gegeben wurde, ruft die Annahme nach einem bestimmten und scheinbar weitgehend nicht mehr vorhandenem Wirkungsverhältnis des Menschen in und zur Welt auf den Plan und die Klage um den Verlust einer unmittelbar gelebten Erinnerungspraxis, die in transmittierender Weise wesentlich und somit Kultur- und menschenbildend war.

Eine Praxis des „beständigen Erlernen und Üben von Menschsein“ als existentiellem Prozess einer Menschwerdung, die dem modernen Dogma einer „Sache Mensch“, die sich beliebig behandeln und erneuern, steuern und herstellen ließe, entgegensteht. Selbst seine „Humanisierung“ entpuppt sich dort mehr als koloniales System der Intervention zugunsten Anderer, in deren Machtbereich die gute Tat, die eigentliche Schande der Nutzbarmachung und Ausbeutung von „Humankapital“, verbergen soll.

Gerade auch da, wo unter dem Banner der Humanität der selbstverständliche Mensch via Menschenrecht zu einer verhandelbaren Masse wird, was den Circulus Vitiosus einer Totalität der Gleichen heraufbeschwört und die Sphäre der Differenzierung und Nuancen schließlich in die Nähe eines Aktes der Intoleranz umwidmet.

 Es wäre also ein Gegenentwurf der „Eigentlichkeit“ (Heidegger) welcher der Hybris der Systeme, eine Perspektive der Re-ligio entgegensetzte, eine An- und Rückbindung an das „Wie des Wirkens“ unserer Vorgänger und Vorfahren auch aus anderen Hemisphären und Wirkungsgeschichten, der an die Wissenschaft und Experten „verlorenen” Kultur des inneren- und transzendenten Menschen, des homo ludens und musischen Adepten der Zeitfreiheit. 

Die Vermutung, dass Szabados solches in etwa meinte, wird belegt durch eine Reihe seiner Schriften und Interviews in denen er seine Haltung darlegte, die zwar in der Analyse zu Aktuellem wie Historischem in Verbindung stand, sich dann aber weitgehend von den jeweiligen Erscheinungen der Zeit löst, um diesen eine quasi religiöse Antwort des „Göttlichen, einer zeitlosen Wahrheit“ und vielleicht auch magischen Perspektive gegenüber zu stellen. Hier mit den Mitteln der Musik praktiziert. Allgemeiner gesagt, mag man sich dabei erinnert fühlen an die als ewig geltende Welt der Ideen bei Platon, wie auch an christliche Ikonographie, oder die Aussage mancher Mystiker aus Ost und West, schließlich und nicht nur vorläufig an die Philosophie und Lebenspraxis der Pythagoräer.

Jener frühen Schule des rechten Intervallum und guten Verhältnisse, die sich in der relativ kurzen Zeitspanne eines Jahrhunderts um die Balance zwischen Mensch und Kosmos und im Vertrauen auf eine angenommene Unsterblichkeit der Seele auf vielfältige Weise um Menschenbildung kümmerte. Dem entsprach schließlich auch Szabados „Zweitberuf“ als Arzt, den er bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahre praktizierte.

Dass Geist „seinen Preis hat“, der sich schwer in harter Währung und gängigen Klischees einfügen lässt, erfahren neben Szabados all jene, die sich den Konsequenzen ihres Wirkens sehr wohl auch für sich selbst bewusst sind. Sie könnten durchaus auch anders, d.h. vom Geschäftsmodell her gesehen, erfolgreicher. Das aber widerspräche ihrer Authentizität, der Botschaft des Unbedingten, jener Sprache, die durch Korrumpierung zum Verschwinden verurteilt wäre.

Natürlich wurde die „neue“ Musik der Improvisation nach dem Desaster der Nazi Zeit wie von selbst in den Clubs der Amerikaner aufgenommen und quasi eine Art rhythmisierter Markenartikel der neuen „befreiten Zeit“. Was anders als improvisieren konnte man damals in den völlig zerbombten Städten?!? Die Europäer übten folglich ihren „Sklavenaufstand“, in dem Demokratiemodel von transatlantischen Gnaden importiert, gegen die schwer vergehende Nazi Ära und turnten sich zunächst ein, in die Rahmenbedingungen der Sieger. Das swingte gewaltig. Und das war auch gut so, denn Paraden hatte man endgültig satt. Sie führen, im Übrigen auch bei den Siegern, zu nichts.

Eher mag man es aus europäischer Sphäre so betrachten, dass die nahezu 60 Jahre Entwicklung des improvisatorischen Spiels über relativ begrenzte Formen und über den Free Jazz, endlich die tonale und formale Vielfalt öffnete wie sie europäischer komponierter Musik zum Teil schon seit Jahrhunderten, allerdings auf andere Weise zu eigen ist.

Insofern war der afroamerikanische musikalische Weg ein Enzym welches die Wiederauferstehung des Musikerkomponisten und den Formenreichtum europäischer Strukturen sprichwörtlich spielerisch zuließ. Dieses war auch die Welt des frühen Szabados, der im Sand (Homoki zene) der Puszta nach den verlorenen Klängen eines archaischen Ungarntums grub und in einer Séance auf die Wurzeln ehemaliger Sklaven traf.

Die systemischen Strukturen der sowjetischen Ära in Ungarn mögen auf freiheitsliebende Menschen ähnlich gewirkt haben, wie die Leibeigenschaft der Geknechteten in den Kolonien amerikanischer Großgrundbesitzer, oder jene brutale Überwachungs- und Gefängnisstruktur wie sie in Gaza oder auch in der Westbank herrschen, ganz zu schweigen von den deutschen Konzentrationslagern.

Bloße Befreiung um ihrer selbst- und dem Selbstverwirklichungswillen wäre allerdings nur das Zersplittern der Revolution, die in dem Paradox lebt, mit den Scherben des Zertrümmerten eine neue Legitimation zu bauen, die in ihrem Machtanspruch unter dem Aspekt der zwangsweisen Befreiung der zur „Freiheit noch nicht Gereiften“, dem gerade Zerstörten in nichts nachstünde.

So bezeichnete Szabados auch die griechische Antike als „geistigen Zustand“ und nicht als Problem einer DNS. d.h. er misst den damaligen Geistesströmungen eine zeitlose Existenz bei, an die man sich im beständigen Fragen und Erforschen an das primordiale Flaggschiff einer Arché anschließen kann, mit der wir weiter segeln können, jenseits zeitbedingter Untiefen, welche meist Reaktion und Ressentiment auf Überkommenes sind, unfähig zeitlose Impulse aufzunehmen, weiter zu entwickeln und zu verfeinern. Wenn mit Heidegger „der Entwurf wesentlich ist und nicht die Geworfenheit”, dann kann mit Szabados gesagt werden, dass die Hingabe und das sich Einen mit Musik essentieller sei, als deren märktische Repräsentanz, die einem inszenierten Publikums Ranking unterworfen ist. 

So ist auch die Bedeutung der Sprache für Szabados unmittelbar mit Kulturentwicklung und gemäß der Unterschiedlichkeit der Sprachen auch mit deren Verschiedenheit verbunden. Umgekehrt bedeutete es, wenn alle eine Sprache sprächen, dass dann auch das Vermögen überhaupt Kultur als Überlebensmittel des Menschen hervor zu bringen mehr und mehr verloren ginge.

Dass diese Entwicklung heute bereits weit fortgeschritten ist, kann an jener „Verscrollung“ der Kommunikation erlebt werden, die im öffentlichen Raum den blinkenden Cursor im Chatspalt zu einer Eingabeaufforderung erhöht, nach der in Folge einer Unlust auf Zwang die Sprache auf ein Minimum ihrer Möglichkeit regrediert. Dieses Beispiel der Sprache lässt sich mühelos auf musikalische Ausdrucksweisen in gängigen Medien übertragen, deren Einfachheit nicht immer Anfang für Entwicklung oder ein Verständnis von möglicher Komplexität nahelegen. Eher das Gegenteil.

Wir kommunizieren mehr und mehr in einer eigentümlichen Meta Kommunikation, in welcher „Begriffe über Begriffe“ durch das Tagesgeschäft der Medien weitergereicht-, Image und Abbild für Wahres genommen werden und bei der auftauchenden Frage nach dem Eigentlichen ein irgendwie gearteter und elitärer Sonderhabitus meist rechter Genese unterstellt wird. Wobei zu klären wäre, was rechts und links überhaupt seien. Sind diese Vorwürfe in einer Referenz diffusen Kommunikation nämlich  erst einmal getätigt, lassen sie sich durch nichts mehr aus der Welt schaffen, da die Oberfläche per se der einzig gangbare Weg öffentlicher Erörterung ist. Denn: Nachrichten wechseln ständig und müssen dies auch weil sie nur an den Mann/die Frau gebracht werden können, wenn ihnen eine gewisse Leichtverdaulichkeit eignet. Ein gutes Beispiel, dass es auch anders geht und die Frage nach flächendeckenden pädagogisch gesteigerter Förderung nahelegt, gibt da die Musik ab, die eben auch in ihren komplexeren und es sei gesagt, höher wertigen Erscheinungen, anders „funktioniert“.

Weit davon entfernt nämlich die innere Architektur im Sinne einer Musikwissenschaft oder auch nur einer einfachen Harmonielehre komplexer Werke zu realisieren, verstehen wir dennoch das Sujet, ohne es „zu verstehen“. d.h. hier erfolgt eine „Rückübersetzung“ via einer transzendentalen Sprache die wir alle, oder nahezu Alle zu verstehen scheinen, da ihr Qualität immanent ist. Dies betrifft im übrigen Werke europäischer Kultur genauso, wie alle Erscheinungen ethnischer und  kultischer Musik mit anderem Hintergrund und hat nichts mit einem irgendwie gearteten Eurozentrismus zu tun. Musik ist eine universelle Sprache, die auch von Jenen verstanden wird, die ihre atomare Architektur nicht verstehen.

[1] G. Szabados, Interview Duna TV 2006

[2] s.a. „Brückenschlag“ mit der deutschen Kammerakadmie Neuss

[3] s.a. CD “whats up neighbor”

Das impulsive Geschehen, welches sich bei einem präparierten Flügel (in der Regel mit Radiergummis, Büroklammern und diversen anderen Utensilien) für den empfänglichen Spieler ergibt, setzt ihn über den gänzlich veränderten Klang, der eher einem javanesischen Gamelan Orchester ähnelt, denn einem Tasteninstrument, geboren aus der bürgerlichen Bedürftigkeit nach erhöhter Lautstärke und Brillanz, sofort in die Sphäre anderer Kulturen und mystisch-geheimisvoller Erzählung. 

Sein rhythmisches Gespür wird dadurch angetriggert und er bewegt sich in einem quasi kultischen Raum, den er intuitiv ausfüllt und erspielt, durchaus auch ohne genauere Kenntnisse zu haben,  über die Ursprungskultur-, oder auch genaueres Studium dieser Musik. Vieles von dem Spiel ergibt sich aus einer spezifischen rhythmischen Empfindsamkeit heraus und der Eigenart des Instrumentes welches mindestens seit Bartók auch als Perkussionsinstrument betrachtet wird. Ebenso wie das Saron, das Hauptinstrument im Gamelan Ensemble, wird auch die Flügelseite durch Hämmer angeschlagen und ergibt je nach Präparation der drei-chörigen Seiten einen eher dumpfen, oder einen metallischen Ton, der wie die Kenongs, die Bronzekessel des Gamelan, klingt. Die temperierte Stimmung, welche im präparierten Zustand vollkommen obsolet ist, war auch im unbestückten Zustand Anlass zu Spekulation, etwa wenn Frederic Busoni bemerkte, dass „er feinere Differenzierungen nur im Sinne der Unreinheit wahrnehmen könne.“ [1] Charles Ives war es, der 1925, da er keine mikrototalen Instrumente zur Verfügung hatte, viertel Ton Stücke für zwei Klaviere schrieb, die um einen Viertelton gegeneinander gestimmt waren. Nicht John Cage, wie oft angenommen, sondern Henry Cowell, sein Lehrer, erzeugte mit Gegenständen im Klavierkörper, mehr aber noch mit seinen Händen auf den Saiten Oberton Klänge. Cage schließlich verfeinerte das Verfahren der Präparierung, indem er von Filz über Schrauben alles Mögliche zum allgemeinen Entsetzen der Klavierstimmer in den Korpus einbrachte. In den Sphären der „neuen Musik“ war dieses Vorgehen gewiss eine Art heiliges revolutionierendes Ritual, da auch noch wesentlich aus notiert. Durch die „Zerstörung“ des Alten, wurde gewissermaßen der Werkstoff für Neues generiert und gerechtfertigt und schließlich als Errungenschaft propagiert. Ein veritables Ereignis und sprichwörtliche Neudeklination des Hiatus. 

Ganz in spielerisch östlicher Art und mit dem nüchternen Geist eines Arztes, ging „unser Ungar“ an die Sache heran, als er die für seine Operation notwendigen Utensilien für Zangengeburten feiner Schwingungen, dem Verfasser dieser Zeilen im Vorfeld des Aschaffenburger Konzertes in unbestimmter Weise offenbarte. Woraufhin dieser den Klanginternisten in die ortsansässige Kaufhalle, dem ersten Großraumkonsum am Platz, in welchem man alles bekam, was nicht mehr von Wert war, zur Anhäufung diverser OP Bestecke schickte. Nur durch Einhaltung allgemeiner Zahlungsbedingung, konnte der Anwärter auf exotische Klanghierarchien, die Halle schließlich unter hintergründigem Kleptomanie Verdacht wieder verlassen.

Was allerdings beim folgenden Eingriff herauskam, war eine Neugeburt hybrider Klangwesen in der Kreuzung von Faber-Castell Radiergummis mit Büroklammern unbekannter Herkunft. Der interessierte Leser sei auf jene Aufnahme im Schloss zu Johannisberg verwiesen [2], auf der die Niederkunft ausführlich ihrer digitalen „Wiederholbarkeit“ wartet, um einer Wiederbelebung zugeführt zu werden. Freilich hinkt hier der javanesische Geist etwas hinterher, da es für authentische Spieler nicht Absicht sein kann, sich länger in den originär ethnischen Sphären aufzuhalten, als es der Stimulans dient.

[1] Feruccio Busoni wikipedia

[2] Konzert am 10.04.1986, Schloß Johannisburg

Die Musik sickerte in die Wesen ein, sprengte die herkömmlichen Filter der Wahrnehmung und vermengte sie mit einer höheren Vibrationsexegese des Sandsteinschlosses, in dem der Liszt’sche Genius, arbeitete ohne zu arbeiten. Diese Praxis wurde hier mit den Worten eines früheren Adepten auf die Anwartschaft des Unglaublichen vorexerziert: „Nicht ich, sondern der Herr in mir….“. Stein war nicht mehr Stein während Szabados sich ganz dem Geschehen öffnete, welches er selber hervorrief und begleitete, was in seinem weiteren Verlauf ein nicht immer persönlich steuerbares Geschehen nach sich zog. Die Nachbetrachtenden werden glauben, Zeugen einer Art (Selbst-) Opferung geworden zu sein, deren Preis die Aufgabe einer „niederen“ zu Gunsten einer „höheren Kontrolle“ sei. Transpersonal war nicht länger ein Wort für abgefahrene Spiritisten, sondern zum Begriff geworden, der durch ein Unbegreifliches hindurch sprach. Danach trat wieder Schwerkraft ein und die Welt schien nur noch aus Sandstein zu bestehen.

Der Verfasser dieser Zeilen, der diesem Drama als Mitorganisator und Audio Dokumentarist ebenso ungläubig wie erfasst beiwohnte, meint sich zu erinnern, dass ein durchnässter und erschöpfter Pianist, im Anschluss des Konzertes, von einer Art Reminiszenz an jene Herrschaften sprach, denen sein Spiel gewidmet sei, einer Würdigung der Versammelten, wie vor allem aber den Verblichenen, von deren Rahmengefasster Würde er sich wohl begleitet sah. Gleichwohl ein Opfer und Verneigung an die tatsächlichen oder auch nur imaginierten geistlichen Herrscher der Welt, die in ferner Zeit durch Aufträge und Anordnungen nicht selten Miturheber und Förderer von Kunst und diese hervorbringenden kreativen Kräften waren. 

Soweit das Geschehen.

Es treffen sich also an dem geladenen Punkt unmittelbar vor einer historischen Katastrophe, das Opfer Tarkowskijs und Szabados’, im Film tatsächlich stattfindend und in Szabados Spiel immer auch anwesend.

Das Drama des Menschen, sein „Kampf“ mit den materiellen Mächten und Irrungen des Daseins und einer versuchten Läuterung durch Hinwendung nach einer Orientierung, einer zeitlosen Dimension der Re-ligio, einer Rückbindung an das Numinose des Überraumzeitlichen, welches von manchen Gott, von anderen einfach Geist und gelegentlich auch Nichtselbst benannt wird. Dem Aufstand gegen die Kräfte des Materialismus und Utilitarismus waren Szabados’ und Tarkowskijs’s Kunst und Können gewidmet.

Weit davon entfernt Unterhaltung zu sein, waren sie Vorgeher und Wegbereiter einer Brücke des Sinnlichen die in eine geistige Welt und Ordnung führen sollte. Der  unbedingte Versuch über die mantrische Anwendung ihrer Kunst uns, die wir „nur“ die Bilder sehen und „nur“ Musik hören, das davor- und dahinter Liegende, den Weg zur Spiritualisierung der Welt zu eröffnen.

Szabados Musik am Flügel zu analysieren ist eine Gratwanderung zwischen der Erinnerung mehr oder weniger bekannter kompositorischer Elemente und dem Unvermögen tiefer einzudringen in die Geheimnisse der energetischen Verbindung des Musikers, der wie aus dem Nichts einen Kosmos von Klangbildern erzeugt und  eben diese Erinnerungen an Früheres kombiniert mit seinem existentiellen Atem, der die Musik in eine ganz andere Wirksamkeit hinüber gebiert.

Die Übertragungskraft dieser Musik versetzt in eine Art Trance, bedingt durch die langen Pattern vorwiegend in der linken Hand, die den Teppich weben, auf denen der Geist fliegen und die rechte Hand sich in komplexen Strukturen empor bauen kann, in eine Welt des Vorbewussten, das jetzt ans Tageslicht gehoben wird.

Die Bartók‘sche Einfachheit von Kinderliedern sind in ihrer monophonen Weise eine „Grundstimulans“ um uns in eine Lage des Verstehens zu versetzen und tauchen immer wieder in verschiedener Weise auf. Kontrapunktische Spielweise kombiniert und sich durchdringend mit volksliedhaften Strukturen durchziehen die Bögen in denen Szabados sein Spiel über das Spielen erforscht, entwickelt und auch wieder verwirft.

Szabados spielt nie Free Jazz im „amerikanischen Sinne“, sondern für ihn ist „Free“ eine Aufforderung, der Entschluss zur prozessualen Großform in europäischem Duktus.

Seine Musik erzeugt archaische Bilder und schafft ähnlich wie Tarkowskis’s lange Kamerasequenzen, über das sinnliche Erlebnis hinaus die Möglichkeit für den Zuhörer über den Stoff der sinnlichen Erfahrung in Kommunikation mit einem Darüberhinaus zu kommen. Der Adept wird eingeladen, sich über die Sinnesbrücke einem Raumzeitlichen Kontinuum zu öffnen, von dort die Relativität der Erscheinungen zu erfahren und einzutauchen in eine größere Ganzheit, in ein Drama der Existenz, welches die Sinnfälligkeit einer religiösen Praxis, einer Kontaktnahme mit einem „Da“ vor aktueller Zeit nahelegt und zu diesem einlädt. Es ist die freundliche Geste einer poetischen Weise, die den Menschen mitnehmen will auf eine Reise zu sich selbst, am Urquell des Daseins.  

Den „kulturpessimistischen“ Satz des 2011 verstorbenen ungarischen Pianisten und den Titel dieses essay  wollen wir zum Anlass nehmen, seine Musik und sein Wirken vor dem Hintergrund einer durchaus problematischen, weltweiten kulturgeschichtlichen Entwicklung zu sehen, der dieser mit seinem Wirken eine Antwort entgegen setzte. 

In einer Welt nämlich, in der, um mit Sloterdijk zu sprechen, der Hiatus, (Abgrund, Kluft, Spalt) und der zwangsläufig folgende Sturz nach vorne zu einer beständigen und beängstigenden „Einrichtung“ geworden ist, auf deren existentiellen Abgründen wir, weitgehend unbewusst seiner Bedingungen und Vorgeschichten versuchen die Balance zu wahren, stellt sich die Frage nach der Alternative zum unterbrochenen Kontinuum in besonderer Weise und am kulturpessimistischen Ende der Neuzeit überhaupt zum ersten Mal in jener Art, die ohne Vorgriff auf geschichtliche Analogie scheint.

Denn schneller als heute waren wir nie, was einen kaum steuerbaren Ablauf eines schlingernden Finales nahelegt. Wie dieses aussehen könnte, kann jetzt schon an dem zur Dauer geronnenen Fiasko einer permanenten Ausweitung von Flachheit in einer weltweiten Durchseuchung in allen gängigen Medienformaten, mit noch ausreichendem Abstand zum Ernstfall kontempliert werden. Update garantiert.

Das Ausmaß dieses Sturzes, den Grund seines Abgrundes sozusagen sichtbar zu machen, ist notwendig um ihn zu verstehen, um aus der Not des freien Falls die mögliche Tugend seiner Betrachtung und aus der Dynamik der Kultivierung seiner Zerstörungstendenz und den Turbulenzen des Unkontrollierten im Abwärtsgleiten, einen lenkbaren Auftrieb zu entwickeln.

So zumindest könnte sich das Credo einer Anwartschaft auf Teilhabe an der Wirksamkeit des Unfassbaren, also Geistigen anhören. Auf vielfältige Weise, und kaum mehr wahrnehmbar und bewusst, finden wir uns nämlich mehr und mehr, nicht mehr auf den Fäden oder gar Knotenpunkten der Netze, sondern im freien Fall durch das Gewebe dazwischen. Nicht überzeugend….? Was wenn der Strom ausgeht…?!? 

Die Kunst der (hier musikalischen) Performance, „der Kunst ohne Netz“ wie einer ihrer Protagonisten sagte, trieb nicht umsonst ihre Blüte kurz nach dem letzten großen Desaster in der Welt, dem WK II, nach einer umfassenden Zerstörung sowohl in materieller, wie auch, was nur zu schnell vergessen wird, in der Sphäre der diese bedingenden, suchenden wie verlorenen spirituellen und geistigen Ebene. 

Da wir Herkunft über das Persönliche hinaus, trotz inzwischen auch gesellschaftsfähigem Training nach Höherem, immer weniger kennen, weil diese Ansinnen nur als Restauration von Abgründigem erscheint, treiben wir in scheinbar alternativlosen Welten einer berührungslosen Ichheit und beliebiger Beziehungserfahrung hindurch, deren Tendenzen sich mehr und mehr zwischen Knoten und Schuss einen löchrigen Teppich des freien Falls zu weben scheinen.

Der einzige Ausweg wird als jener betrachtet, der noch mehr und schneller in ein richtungsloses Vorne führt, Herkunft als Makel einer alten Welt diskreditiert und in einer grellen Show des immer Anderen und immer Neuen, letztlich den Absturz selbst als Kunst zu betreiben versucht. Dadaisten haben diesen Sturz der Moderne ins Bodenlose auf kunstvolle Weise mit einer Sprache des scheinbaren Nonsens belegt, nur um zu zeigen, dass nur noch „Stammeln“ und das reden in fremden Sprachen die einzig treffliche Antwort auf die Wüste der Zeiten ist.

„Ich kann zählen*, wo ist das Problem?!?“ [1] *(meint: ich sehe die Katastrophe). Dieser Satz eines politischen Redakteurs der Neuen Zürcher Zeitung gegenüber dem Verfasser dieser Zeilen, ist das neue Credo einer empfindungslosen und handlungsverstörten Öffentlichkeit und deren Protagonisten. Man könnte diesen epochalen Satz des „Elephant in the Room“ mit astronautischer stoischer Haltung konterkarieren und ins Vakuum tönen: „Housten wir haben ein Problem,… es wird sich von selbst lösen, wenn wir nichts tun. Also warten wir ab.“

Inzwischen wird der Index des Bruttosozialprodukts zum neuen Gott einer Bevölkerung gestylt, die sich nur noch in statistischer Erhebung niederschlägt. Existenz wird mehr und mehr als Umsatz und Umschichtung von Schein propagiert, welches das Gefühl von Sicherheit suggerieren soll. Das „Brutto National Glück“, der BNG des Staates Buthan scheint uns weltfremd und entrückt, während wir „Glück“ nur noch als Image auf Werbetafeln begegnen. Das Außen hat das Innen, die Nachrichten (des immer öfter Falschen) hat die eigene Erfahrung ersetzt.

Wir leben in einem Zeitalter, in dem Geschichte, geradezu in Echtzeit neu erfunden und gestylt wird, indem die Katastrophen in Echtzeit Inszenierung über den Bildschirm gejagt werden und einen faden Beigeschmack des Vertrauensverlustes in den öffentlich-rechtlichen Zirkus und deren immer noch Medien genannten Organe hinterlassen.

Was diese Sichtweise mit unserem Thema, dem Wirken Szabados als ursprünglichem Musiker zu tun hat, werden wir im Weiteren sehen.

„Abgesichert“ durch die Unwägbarkeit von Langzeit Krediten, die in gewisser Weise unserem konditionierten Verständnis von dem entspricht, wie Kunst wahrgenommen werden soll, richtiger wie sie inszeniert wird, um sie ihrer Wandlungskraft zu entschärfen und in ein Unterhaltungsfach klont, klettern und hangeln wir nach vorne, ohne Halt im Jetzt und nach hinten und werden zu einer formidablen Seilschaft eines Verbrauchertums, welches vor lauter Angst eines vorzeitigen Absturzes nur noch die Flucht nach oben kennt.

Auf halbem Gipfel angekommen, stehen wir vor dem Dilemma, dass der Rückweg nicht mehr in Frage kommt, da wir Hacken und Verbindungsleinen aus Überheblichkeit dem Abgrund überließen. Auf dem Hügel des Mittelmäßigen ahnen wir von der Ferne her, den Verlust all dessen, was wir nicht mehr kennen und von daher nur noch als Unangenehmes möglichst schnell in den Abstellraum einer alten Welt verbannen. Den Abstieg in jenen Grund auszuhalten , von wo wir kommen, wäre bereits ein neu Knüpfen  von Karabinerhaken.

Spurensicherung des Jetzt Gefühls wurde von daher zu einem neuen Überlebenstraining, da die Lebendigkeit alter Systeme nicht mehr zugänglich war, oder diskreditiert in den kalten Gletscherspalten postindustrieller Arroganz verschwand.

In dem man diese nach Maßgabe einer Unterhaltungsverwertung in die Unwirksamkeit einer produzier- und kaufbaren Stückelungs-Einheit verbannte, wurden die Karabinerhacken des Könnens unmerklich umgewidmet in eine kostenpflichtige Anteilnahme des nächsten Software-Upgrade.

Reproduzierbarkeit wurde der Gott des wirtschaftlichen Aufschwunges, der Motor der kapitalistischen Volkswirtschaft, dem auch die feinsinnigen Ergebnisse originär kultureller Ertüchtigungen unterworfen scheinen. Eine neue Religionen des Abgründigen wurde erfunden und sanktioniert, um beim Zugriff auf die Freiheit ein Maximum an archaischen Kampfstoffen zur Verfügung zu haben.

Wir können uns auf nichts mehr verlassen außer auf uns selbst, welche wir nicht mehr kennen und dessen wir viele sind. Wir schreiten nicht; wir treiben; wir gehen nicht, wir stürzen; wir halten nicht inne im sein, wir versinken im Nichts. Die Angst davor übertünchen wir mit dieser Erkenntnis. Die Organe für andere Lebensweisen sind uns verlustig gegangen. Viel mehr sie werden durch beständige Einwirkung einer publizistisch-medialen Welt torpediert und erodieren in einen komatösen Zustand vorbewusster Irrnis. Auch das wissen wir, ohne zu begreifen was es bedeutet und was es mit uns macht. Wir segeln ohne je die Kunst des Gleitens erlernt zu haben und rauschen den Gesetzmäßigkeiten spiritueller Aerodynamik folgend, schnell noch das Gedicht von Dädalus rezitierend in den unvermeidlichen Abgrund.

Wir entpuppen uns als Kenner des Nichtwissens, welches uns der Panik vor dem Aufschlag entheben mag. Das Gefühl der Unheimlichkeit befällt uns nicht nur bei einem Aufspielen einer neuen Software Version unserer geliebten und unverzichtbaren Anwendungsprogramme auf unseren ständigen Begleiter, den Herrscher der Nullen und Einsen, vielmehr erleben wir währenddessen die schleichende Möglichkeit, dass ein Update sich im nächsten Moment völlig unkontrolliert in einen “fall down” verwandeln könnte. Dort, wo uns auch kein Pogramm eines Drittanbieters oder dessen Hotline mehr helfen kann.

Wir sind im Raum einer dem Menschenwesen fremden Naturferne, einer Hilflosigkeit der Ausgegliederten, die uns vor die Wahl einer adhoc Notfall Strategie stellt, oder aber unterzugehen und ahnen die Verdammnis in einem beängstigend dunklen Reservoir der Nichtexistenz zu verschwinden. Dort, wo Mystiker aller Zeiten das Licht am Ende des Tunnels wähnten, weigern wir uns beharrlich uns auf den unvermeidlichen Schienenstrang des Kommenden einzufinden. 

[1] in: Martin Schulz in Iran, Versuch über Heraldik

Das ist die Geburtsstunde der „Performance“. Dem mehr oder weniger künstlerischen Können, Unvermeidliches und Unkontrollierbares in ein „Produkt“ eines erstrebenswerten Da-Seins-Zustandes, in eine Botschaft einer anderen Welt mit Anspruch auf Leitung und Läuterung zu verwandeln. Das, was sich hier als Aktionskunst auf die axis mundi der Verzweifelten einer spontanen Entscheidungsfindung setzt, ist quasi das Pendant zur ihrer eigenen Person. Die saloppe Unverbindlichkeit einer improvisatorischen Phrase, ist in ihrem Dialekt ein subversives natürliches Antibiotikum, die entscheidende Messerspitze Pfeffer, die auf eine wallende Suppe von Emotionen trifft, in welcher sich bereits ein Teelöffel Kurkuma zur Ertüchtigung lebendiger Geister versammelt hat. Der hippe und nur scheinbare Nonsens des „name droppings“ eines performativ-akustischen Drahtseilaktes [1], gebiert die schrecklich schönen Ungeheuer die es vorgibt zu bezwingen. Wegrennen gilt nicht, was zählt ist sich selbst zu übertreffen im Vermögen das Unmögliche als letzte Chance vor dem Notausgang zu begreifen.

Durchformen erscheint mittels Durchklingen. Der Sprech- und somit der Spielakt wird Ausdruck nicht sichtbarer Mächte, der Performator zum Werkzeug einer vorbewussten Da-Seins-Schwäche mit unbedingter Maßgabe zur Besserung. Es ist das Spiel Gottes in und mit seinen Geschöpfen, dem sich der Akteur aussetzt. Es ist die temporäre Götterwerdung seiner Geschöpfe zum Preis eines Opfers von partiellen Ego Toten. Auf jeden Fall noch vor ihren Adepten, die mit offenen Mündern, am Rande der Schienen auf ihr Ergriffenheit zur Mitnahme in den dunklen Schlot der Hoffnung, warten. Eine Neuerfindung von Sprache im Zustand des maximalen Durcheinander und Filterlosen, wartet auf Besseres, was nur durch die Tat in ein „vermeintliches Irgendwie“ mit Anspruch auf Gültigkeit, gewandelt werden kann.

Der Russe Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoy, Sprachwissenschaftler und Erfinder der Phonologie, würde in den Sprachkünsten der frühen und heutigen Performer ein wahres Reservoir für seine Erörterung gefunden haben. [1] So ist es nicht verwunderlich, dass dieser Sprachklangforscher, der sich mit dem „Verborgenen der Sprache“ auseinandersetzte und somit deren inhärenten Botschaften, die möglicherweise eine andere Bedeutsamkeit nahelegten, als eine jeweilige Macht dies wollte, unmittelbar vor dem 2. Weltkrieg im österreichischen Exil ins Visier des Geheimdienstes kam, an dessen Folgen er unmittelbar darauf verstarb.

Schnell taucht die Frage nach dem Woher und des Grundes dieser per se grundlosen Kunst auf, die vorschnell mit Göttern, von Oben, Geistern und allem was sonst noch an Höherem greifbar erscheint, handelt, um eine halbwegs sinnvolle Erklärbarkeit zu suggerieren. Nicht unähnlich des „Redens in fremden Zungen“ tauchen biblische und kultische Analogien auf. Hier müssen wir nun den ersten Ausflug zur Welt Szabados hinüber gehen, um so weit bekannt, seine spiriti recti, seine Initialzündungen und „Hintergrundstrahlungen“ einer Betrachtung zu zuführen. Sangliche Einfachheit, die er bei Kodály und eben in den gregorianischen Gesängen vorfand, sind seine Leitmotive, die ohne unmittelbare Resonanz keine organische Wirksamkeit entfalten. Die Entwicklung der frühen Form und Vorstufe der Mensuralnotation, die der Neumen zeigt, dass vor den Tonhöhen fixierten, vakuumverpackten und auf scheinbar endlos horizontalen Notenzeilen haltbar gemachten Punkten des Guido von Arezzo, eine musikalische Welt existiert haben muss, die wir heute noch in Kulturen wissen, die vorwiegend ihre Stimme in der musikalischen Mitteilung  gebrauchen.

Dort gibt es selten exakte Tonhöhen, dafür umso mehr Viertel- und Achteltöne, jene analogen Schritte, die eben im Halbton Geschehen untergegangen sind. Um es mit Bach zu sagen: Wohltemperiert wurden,….. was allerdings eine ganz eigene zeitlose Gültigkeit hervorbrachte mit der Folge, das Musiker und Komponist die vordem eins waren, plötzlich zwei wurden. Der Performer wurde zum ausführenden Musiker-Tänzer, der einer Choreographie folgt, die nicht seine eigene ist. 

Der Verlust des Anspruchs des Tons auf seine relative Höhe, der mittels Notenzeile ausgehebelt wurde, läutete die Spaltung des Musikantenkomponisten ein. Ab da wurde nicht mehr, von vielen nebeneinander spontan improvisiert, sondern allenfalls „nur noch“ komponiert. Der Rest, also das Werk wurde von Einem geliefert, der sich mehr und mehr den Anwesenden und nur noch Ausführenden entzog. Der Performer wurde zum Ton- und Bewegungsarbeiter, der dem Bauplan eines hintergründigen Ingenieurs folgend, die Unterhaltung zur Ergötzung des zahlenden Publikums, zum Laufen brachte. 

Dazwischen lag das unveränderliche und verminte Grenzland der schwarzen Punkte, die immer mehr verfeinert, gleichsam dem Kleingedruckten abstruser Verträge glichen, die jetzt auch noch mittels Taktstrich in ein vertikales Lot, in einen Zeitraum und somit in die allgemeine Gültigkeit des Überprüfbaren gesetzt wurden.        

Die herkömmlichen Methoden musikalischer Forensik bedürfen einer gewaltigen Revision, deren Umfang wir noch nicht ahnen. Wenn nämlich Vorbewusstes zum ad-hoc Bewusstem wird und so den zeitfreien Raum der eigenen Zeit im Prozess gebiert und die Anwärter des sich „in der Welt befindlichen Überweltlichen“, über die Schwingungsverhältnisse der Musike schließlich doch noch zu den relativen Sphären jener Esoteriker kommen, die den Raum als Abwesenheit von Zeit setzten.

Bartók wusste dies, als er sagte, dass es ein Unterschied sei, ob ein Taxifahrer in New York oder ein Pianist einen Ton auf dem Flügel spiele. Gewissermaßen drücken zwar beide eine Taste, oder schlagen diese gar an, aber nur ein langjährig erfahrener Klavierspieler hebt den Ton auch in seine Existenz, praktiziert jene hohe Kunst der Mäeutik, indem er dem Ton eine Frage stellt und als Musiker, Echo seiner Antwort wird.

Er weiß, dass der Prozess des „Runterdrückens“ gleichzeitig und unumgänglich auch ein Vorgang des „In die Welt Hebens” ist. Der Ton des Taxifahrers ist Effekt, ein Resultat eines scheinbar einfachen physischen Vorganges, während der Ton des Pianisten eine auratische Geburt in sich trägt. Dies ist deswegen am Tasteninstrument besonders schwierig, da es dazu prädestiniert scheint ähnlich den Tasten an einer Schreibmaschine, ohne Verbindung zu den geschwungenen Linien einer analogen  Schrift, angeschlagen zu werden.

Ebenso ist dieser Vorgang auch in hochkomplexen (Ab) Läufen von verdichteten Spielprozessen vorhanden, da dort die auratische Kontaktnahme mit dem recht einfachen Schwingungsverhältnis eines Tones oder einfacher Intervalle, in einer Reihe sich auftürmt und weniger als Einzelereignis denn als als Klangbild, als Gesamtheit wahrgenommen wird. Vorausgesetzt der Spieler befindet sich in Resonanz mit seinen tonrhythmischen Hervorbringungen.

Die Entmythologisierung und Psychologisierung vormals, (das meint in archaischen Zeiten) vorhandener und gelebter Ausübung der mousike, führt heute zunächst auf der Seite des agierenden Musikers, wie dann in Folge beim Rezipienten, letztlich zu dem verflachenden Phänomen der Unterhaltung und ihrer folgenden behelfsweise oberflächlichen Kategorisierungen in „schön oder weniger“ schön. Die Erfahrung der Ganzheit in welcher sich ebenso „schön, wie unschön“ oder „hoch und tief“ befinden und noch unmittelbar zusammen gehören, steht nicht mehr hoch im Kurs.  

Diese Verflachung ist Folge der Negierung von alten Verbindungen und Verbindlichkeiten in deren Gesamtkontext die Ausübung von mousike gestellt war. Nichtwissen wird somit zum Werkzeug und Marktfaktor, welches das Spiel von Angebot und Nachfrage bestimmt. Intensität wird nicht über Tiefe und Authentizität wahrgenommen, sondern über das „immer sich unterscheiden müssende“ zum Vorhergehenden.

Der Rezipient wird also über sein ihm anerzogenes Marktverhalten zum Trainingsfaktor einer „mousike” die mehr und mehr losgelöst ist von Zusammenhängen, ja dieses nachgerade in Frage stellt oder gar diskriminiert. Die Bedeutung des Kultus im Ursprünglichen wird fraglich, ein neuer Kult des Machbaren wird aufgesetzt. Andererseits kann auch Szabados nicht leugnen in einer Welt zu leben, die nicht mehr jene der „Alten“ ist und insofern eine Meta Meta Ebene der Betrachtung und eine dieser entgegenkommenden musikalischen Praxis zeitentsprechend wäre. Allerdings geht es weniger um die „äußere Form der Musik“ als vielmehr die dem Spieler inhärente Haltung, der diese wieder und wieder aktualisiert und somit in die Welt bringt. Das „Wie“ hat insofern Vorrang vor dem „Was“. 

Mit Meta Meta Ebene ist hier ein Zugang gemeint wie diesen vielleicht Ken Wilber beschritt, der zum einen von der strukturellen Praxis her naheliegend scheint, zum anderen aber auch den Geschmack des „everything goes“ gelegentlich erahnen lässt. Dort wo mehr der energetische Teil einer Ebene angesprochen ist, nimmt das Transpersonale überhand, das Personale tritt in den Hintergrund. Das scheint die Kluft zwischen Person und Transzendenz eher zu vergrößern als diese mit hineinzunehmen in einen Wandlungsprozess.

Vielleicht ist Anthony Braxton ein Vertreter dieser Multi Perspektivität, der ein multisphärisches Weltbild zu schaffen scheint, was bei Szabados eher hierarchisch und statisch wahrnehmbar ist. Das bedeutet nicht, dass hier eine Fixierung oder gar Verhärtung konstatierbar wäre, vielmehr eine Haltung und Entsprechung der Welt, dem Da Sein und dem Kosmos gegenüber, die der westlichen, der europäischen Region mit ihrer graeco-romanischen Geschichte und ihrer Götterwelt vielleicht mehr entspricht. Allerdings ist es auch so, dass hier (bei Szabados) die Qualität des soziokulturell Authentischen, weil Verbindlichen, eher wahrgenommen werden kann, da sie unserer Lebenssituation und unserer Geschichte eher zu entsprechen scheint.

Wir sind nicht bloß „energetische Bündel“ die sich mehr oder weniger kunstvoll arrangieren, sondern uns eignet eine je besondere und eigentümliche Farbe des Individuums. Die Crux des Westens gewissermaßen. Zu werden im Vergehen, zu wandeln im Gestalten der Form, „geschichtsgeworfene“ Wesen, einer langen und oft turbulenten Zeit. Wir sind Herkunft auf Zukunft und nicht propagandistischer Neustart unter Ausblendung von Vergangenheit.

Szabados hinterfragt gewiss eine über die Maßen stattfindende Säkularisierung der Lebensverhältnisse, insbesondre der mousikḗ. Nüchternheit und Entreligiosierung durch Machbarkeitsglauben, sind bei ihm keine Alternative zu den Fragen des Menschen in der Welt. Ein abgeklärtes rationalistisches Weltbild einer falsch verstandenen Aufklärung, stört das natürliche Wachstum des Menschen im Rahmen seiner seelisch geistigen Fähigkeiten. Säkularisierung würde hier bedeuten den Menschen der Möglichkeit zur Transzendenz zu berauben, ihm den Zugang zu einer spirituellen Entwicklung zu nehmen. Letztlich den Sinn des Da Seins nur noch im Funktionalen zu finden, also zu verlieren. Inwieweit Szabados nicht nur in bestimmten Texturen seiner Musik Romantiker war, kann mit einem Zitat zustimmend beantwortet werden. Um mit einer „Definition“ von Novalis (Hardenberg) selbst zu sprechen: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“

Die Würde des Einfachen schätzen, es dadurch erhöhen, die „Auratik“ des Klanges verstehen und ihm somit den Zauber einer anderen Welt aneignen, welches uns in den Geschmack von Zeitlosigkeit und  Ewigkeit einweiht…., so könnte Szabados gesprochen haben. Insofern könnte er ein nüchterner Romantiker gewesen sein, einer der sich dem Zustand der Welt in concreto bewusst ist und eben von daher eine „andere“ setzt, die aber als die Eigentliche begriffen wird. Womit er sich einem platonischen Spektrum näherte. Vielleicht ist Szabados’s „Opfer“, seinem künstlerischen Handeln, einer durchaus bewusste Komponente zuzugestehen. Indem er sich bewusst war eine andere als das Übliche, oder überhaupt eine Referenz zu setzen, versuchte er in der Welt der Irrnis ein Zeichen zu hinterlassen, vielleicht sogar Orientierung zu ermöglichen, so irrational diese für manchen in ihrem Habitus eines Traditionsbezuges (jenseits seiner musikalischen Wirksamkeit, die verstehbar ist) auch erscheinen mag. Denn „tradere” ist gerade das, was am Aussterben ist, da der Ruf aus dem Vormaligen nicht gerne gehört wird, in einer Welt die ihr Heil fast ausschließlich im „Dann“ sucht, in den wechselnden Moden der Zeit, oder aber „tradere“ als image wieder ausgräbt um es zu vermarkten und es somit entkernt. 

Und der Mensch wirkt nur da eigentlich, wo er Ganz ist, wo also zwischen seinem Weltbild und seinem Tun wenig Unterschied bleibt. Novalis sagt: „Poesie ist die große Kunst der Konstruktion der transzendentalen Gesundheit. Der Poet ist also der transzendentale Arzt“ [3].

Insofern war und ist Szabados ein musikalischer Poet, ganz im Sinne der ursprünglichen mousike, ein Wanderer zwischen zwei Welten, der mit der verdichteten Sprache der Musik, ihrer Poesie, heilt.

Für Szabados war die „Teilhabe“ an einem universellen Bewusstsein Voraussetzung einer Improvisativität wie er dies nannte, die von daher persönliche Grenzen transzendierte und in neue Räume des Da-Seins vordrang. Dieses war bei ihm kein technischer Aspekt, sondern in jenem Sinne höchst „musisch“ wie in der griechischen Antike „mousikḗ“ verstanden wurde. Nämlich die Aktualisierung einer Gesamtkapazität eines Menschen mit einer unbedingt kosmisch-göttlichen oder allgemeiner gesagt spirituellen Ausrichtung. Es war also nicht nur Musik als sinnlich begrenzter Ausdruck klanglich-rhythmischer Ereignisse, sondern vielmehr Ergebnis einer Hintergrundstrahlung, die sinnlich wahrnehmbare Ergebnis einer philosophisch- spirituellen „These“ und Überzeugung und deren gelebten, geistigen Behandlung mittels einem Handwerk in der Welt. Es musste dem keine denkerische Turnübung vorausgehen, da das Leben an sich untrennbar ist von seinem geistigen Gehalt, unabhängig von einer wie auch immer gearteten kunstvollen Reflexion.

Nichts ist nur Ding an sich. Alles hat mit Allem zu tun und des Menschen Aufgabe ist es, dieses Erkennen mit den Mitteln der mousikḗ ans Licht zu heben und für andere wahrnehmbar zu machen. Schulbildend gesprochen: Eine Referenz in der Welt zu sein, auf die sich Andere beziehen können. Ein Knotenpunkt im Netz, das Wirken an einem Faden, der aus dunkler Vergangenheit den Weg ins Jetzt und von da aus in eine unbekannte, aber zu gestaltende Zukunft findet.

Das Kontinuum welches durch dieses Wirken entsteht, ist unverzichtbar für das Erscheinen und der Tragkraft einer geistigen Präsenz in der Welt. 

Paradoxer Weise ist ausgerechnet die Inkohärenz eines Improvisators, seine „Zerrissenheit“ und „Unzulänglichkeit“, jenes Kapital mit dem er sich auf den Weg zu mehr Kohärenz und Ganzheit macht. Selbst der Schamane und Medizinmann „nutzt“ seine geistige Verwirrung, die ihren Ursprung im zerfahrenen Zustand, der Fragmentierung einer Gesellschaft hat, um sich in die „höhere Wahrheit“ einer anderen, einer ganzeren Welt hinauf zu meditieren und die Sinneswahrnehmung des alltäglichen um die Wahrnehmung transzendenter Sphären zu erweitern. Das ist es was er zu leisten hat in vollem Bewusstsein des Nichtgelingens, in voller Absicht sich dieser Gratwanderung zu stellen.

In der modernen Welt ist freilich die Verwechslung einer selbstgewählten spirituellen Aufgabe mit den Bereichen persönlich-identitärer Prozesse oft eng und kaum mehr wahrnehmbar verknüpft, sodass ein Agieren des Künstlers oft mehr über das Prekäre seiner selbst und seiner Umstände Auskunft gibt, als diese ein wirksames Mittel im oben beschriebenen Sinne wäre.

Wirklichkeit ist also nicht nur das was wirkt, (C.G.Jung) sondern dadurch wird überhaupt erst die Frage aufgeworfen, wie und zu was Etwas wirken soll. Und auch, „wer wirkt den eigentlich“, was mindestens einer Gerichtetheit entspricht. Wenn diese Frage nicht gestellt wird, wird Kultus zu Selbstkult, zur Show und Wirkung, zu heillosem Agieren des all zu Vielen. Es entstünde das was Szabados zu Beginn eines Interview einfach mit: „…weniger wäre mehr..“ beschreibt. [4]

Es ist gut anzunehmen, dass für Szabados, für den seine Musik ein kultischer Akt war, diesen auch bewusst praktizierte. Was wissen wir, was in ihm vorging, vor und während des Spiels und nach dem letzten Ton?!? Das gesprochene Wort ist schließlich nur ein Versuch die Nebel der Schleier auch für ihn selbst, beiseite zu schieben.

Das Zerfallen der Welt um ihn herum, nahm er zum Anlass, aus einer „Haltung des Nichtwissens“, des sich meditativ Leerens, einer immer wieder geübten Annäherung an ein Ursprüngliches, welches die Sphäre der Einfachheit ist, ein komplexes Drama in zeitgemäßer Sprache zu entfalten. Diese Sprache ergab sich aus der Erkenntnis, dass die Entwicklung der europäischen komponierte Musik an einem entropischen Zustand angekommen ist, der eine radikale Frage an den ausübenden Musiker und dessen Selbstverständnis stellt. Die Frage wie ernst er es mit der Ausübung seiner Kunst halte und mit welchem Hintergrund und auch zu welchem Zweck er diese betreibe. Denn Geladenheit und gewisse Beherrschung von Energie alleine, sind noch keine überzeugenden Antworten auf die Probleme der Zeit. Bewusstheit setzt die Kenntnis möglichst vieler Faktoren der Existenz voraus. 

Nun können jüngere Generationen Szabados nicht einfach „nachmachen“, genauso wenig wie oben genannte Ansprüche an Hochschulen gelehrt werden könnten. Vielleicht ist dies der Weg der Einsamen, der in sich Gekehrten, die zu Antworten durchstoßen können und die Fähigkeit haben, diese an Andere weiter zu tragen. Jene Antworten werden sich an ihrer Qualität messen lassen müssen, weniger an ihrer Eloquenz der Allverfügbarkeit von Können und Wissen. Gleich dem Drama der griechischen Antike die mit der heutigen Form von Unterhaltung nichts gemein hat. Dort war Drama Läuterung, Heilung, das Aus-Sprechen von Dämonen um diese zu bannen. Katharsis. 

Heute haben wir die Fähigkeit entwickelt Probleme auf genialem Niveau zu analysieren und zu benennen, nur um dann wie bisher weiter zu machen. Wir vergrößern den Hiatus von Erkenntnis und Handlung in eine Dimension hinein, wo dieser unüberbrückbar wird. Wir fallen ins Nichts der Existenz, in die Inhaltslosigkeit des Da-Seins, verschwinden im „Seienden“, da uns das „Sein“ (Heidegger), die Kunst des Brückenbauens zwischen geistiger und materieller Welt abhanden kam.

Das was moderne Psychologie pathologisierend als Dissoziation, als Misslingen einer Integration von verschiedenen Persönlichkeitssphären beschreibt, ist nichts anderes als unser eigentliches „Grundkapital“. Wir sind viele, die Frage ist nur, wie kommen wir damit zurecht und verhelfen diesem zur Sprache.

Das „Darüberhinaus des Menschen“, welches Heidegger in einem Interview mit einem buddhistischen Mönchen als „verrückt“ bezeichnet [5], ist letztlich nichts anderes als der Versuch, einem als unklar erlebten Zustand Ausdruck zu verleihen, dieser existentiellen Anfrage Sinn und Antwort zu geben, durch eine Rückbindung an ein Numinoses. So gesehen ist Free Jazz, ja jede Form improvisierter Musik der Versuch mit relativ wenig Bezugsmaterial, z.B. einem Thema und dessen mantrischer Hintergrundschwingung, z.B. die Akkorde / Changes, das „Angedriggert Sein“, welches ein Spieler durch die spezifische Anordnung des Materials erfährt, ein Akt des „darüber-Hinaus“. So ist die Improvisation erst das eigentliche Leben, welches mich, wenn ich ihr entspreche, mich dadurch belebt. 

Das Drama des Free Jazz ist, nachdem heute seine sozial-politische Sphäre weniger eine Rolle spielt als noch zu seinen Anfängen, im Bereich der Improvisation ein geschichtlicher Sonderfall. Man könnte ihn auch als ein Modell des evolutionären Ursprungs aller Daseinsversuche bezeichnen, wenn das Konzept „Learning by doing” nicht nur ein unterhaltsames Spielchen ist, sondern eine todernste Angelegenheit die den Platz auf der Bühne des Lebens zumindest für die nächste Stunde etwas sicherer erscheinen lässt, als die Dunstverhangene Tiefe in dem sich ein diffuses Publikum, anonym und Konsum partizipierend, tummelt. 

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[1] s.a. Hubert Bergmann u. Rols Rolf Langhans, Performance Poems

[2] s.a. Deklamation in: „the secret history of the events“

[3] in: Die Poesie und die poetische Welt

[4] Die zeitlose Botschaft der Improvisation

[5] Martin Heidegger und Thai Mond Bhiku Maha Mani

Wenn Schreiben seinem Wesen nach Improvisation ist und der Sinn im Text stofflich fixiert übrig bleibt, ist Improvisation also Komposition….ohne Fixierung?!?

Die leidige Frage wo Komposition beginnt und Improvisation aufhört, oder auch wo Improvisation beginnt und Komposition aufhört, wird den Musikwissenschaftler solange beschäftigen wie er nicht selbst ernsthaft versucht darauf eine praktische, nämlich seine spielerische Antwort zu finden. Aus dieser Erfahrungsquelle heraus, könnte er jene Antworten qualifizierter geben, denen er sich durch Praxisvermeidung „entzieht“. Die Auseinandersetzung eines analytischen Hörers ist zwangsläufig von anderer Qualität als die eines praktizierenden Musikers, der über seine Arbeit reflektiert.

Leben in bekannten, deutlicher gesagt in vorgestanzten Formen, scheint nur solange interessant genug, wie es als Grund für weitere Entwicklung taugt. Psychologisch soll die Kohärenz des Denkens z.B. im Halbschlaf oder im Zustand einer Ermüdung herabgesetzt sein, der Zusammenhang also „Lücken“ bekommen in denen sich dann, der Alltagsrealität eher abträgliche Wahrnehmungsprozesse „einschleichen“. 

Dieser Umstand allerdings wird von Improvisatoren wie Szabados bewusst in Kauf genommen, bilden quasi ein „Versenkungsreservoir des Vorbe(ge)wussten“, in dem aus der Sphäre des „Zensors des Bekannten“ die unerlässliche Spannung gewonnen wird, aus dem der „schläfrige“ und somit nicht mehr diskursiv zugänglich Geist, seine Gestalten schöpft. Dass dieser Vorgang ein Echtzeit Prozess darstellt, der sich im Akt des Entstehens fundamental von einer Komposition im Sinne einer schriftlichen Fixierbarkeit zunächst unterscheidet, liegt auf der Hand. Im Vorgang des Fixierens nämlich, wird das Material zwangsläufig einem Wandlungsprozess unterworfen sein. 

So entsteht der paradoxe Prozess, in dem die Unterscheidung (discretio) über die Kraft der Verbindung (conexio) ihre Ungeteiltheit (indivisio) erfährt. Das Ineinander Fallen der Gegensätze (coincidentia oppositorum) von „noch nicht“ und „nicht mehr“, von bekannt (Klischee) und unbekannt, von Neuem und Altem, von bewusst und unbewusst, wird im laufend aktualisierten Prozess des Echtzeit Spiels zu einer imaginierten Komposition, deren Abbildung dem Faktor Zeit „unterworfen“ ist und unmittelbar den diesem Faktor zugeordnete Antipode gebiert. Nämlich Raum. 

Es entsteht im Entstehen, sinnlich wahrnehmbarer „Zeit Raum“, eine unmittelbar spirituelle Qualität und Dimension, deren Unmittelbarkeit es schwer möglich macht zwischen materiell und spirituell zu unterscheiden. Geist wird zu Körper, Körper wird zu Geist. Geist ist Körper, Körper ist Geist, wie Buddhisten sagen.

Szabados ist durchlässig genug und kultiviert diese Durchlässigkeit ab einer bestimmten Dimension seiner Entwicklung, um diese quasi in einen „überpersönlichen Dienst“ zu stellen. Sein Spiel wird zur kultischen Handlung, seine Gefährten Mitglieder eines königlichen Hoforchesters, die Musik ein Opfer für ein imaginäres, geistiges Prinzips, dem Höchsten, dem König, der Sonne, dem Allernährer und Schöpfer aller Dinge. Dem Ungeteilten, welches das Teilen bloß als göttliches Spiel zu seiner „Unterhaltung“ betrachtet. 

Für Selbstverwirklichung im üblichen „Ego behaftetem“ Sinne ist dort scheinbar wenig Raum. Der Musiker wird zum Sprachrohr zwischen Gesellschaft und jener eingeborenen Macht, welche diese (die Gesellschaft) zu ihrer Erlösung und Befreiung ihrer Irrungen braucht. Musike wird zur kathartischen Handlung, zur Brücke in das Reich des Geistigen, dem der Mensch zu allen Zeiten bedurfte und heute mehr denn je bedarf.

Wenn Szabados davon spricht, dass wir „unser ganzes Leben im Zeichen der Improvisation leben“ [1] und einer solchen Lebensführung jeweils spontane Entscheidungsfreiräume, jenseits allbekannter Zwänge beimisst, können wir uns fragen, was er mit diesem Seins-Verständnis gemeint hat, wenn er gelegentlich von den „Männern des Ostens“ – und im Begleittext einer Aufnahme von 1992 [2] von „Zen“ gesprochen hat.

Es fallen einem dabei zeitlose Szenen, wie jene aus dem Film von Zoltan Bicskei [3] ein, indem dieser und Szabados umrahmt von der Weite der Puszta über „Gott und die Welt“ philosophieren. Diesem Zustand der weiten Leere über der die Sonne ihr endlos mildes Licht und der Mond seine Spärlichkeit ausgießt, ist auch ausgedrückt durch das Signum das Giacinto Scelsi, der italienische Komponist klanggewaltiger Stasis, an Stelle seiner personalen Unterschrift setzte.

Es war schlicht ein leerer Kreis mit einem waagerechten Strich darunter, welcher nicht nur Erleuchtung sondern auch Eleganz, Stärke, Universum und Leere bedeutet. Das freie Bewusstsein, das nicht mehr eingeschränkt ist durch Abhängigkeiten und sich so seiner vollen Potentialität zuwenden kann.

Nur „wer Stille höre“, ein Paradoxon und Koan welches z.B. „als Klatschen der einen Hand“ im Zen Buddhismus Eingang findet, realisiere dass auch unser Atem, Herzschlag und alle subtilen Ereignisse der Existenz letztlich Schwingung und somit Musik seien. [4] Szabados zitiert dort auch einen Schüler bei seinem letzten Besuch und Prüfung bei seinem Lehrer, der ihm immer wieder die Frage stellt, was denn Musik nun sei. Und erst als dieser mit der Allegorie „über die Zeit vor der Geburt“ antwortet ist das Rätsel nach dem Wesen der Musik gelöst. Im Zen gibt es hierfür das Koan: „Wer warst Du vor der Geburt deiner Eltern?“

„Das ist die Musik der Welt der Kinderzeichnungen. Sie trägt in sich die Endlichkeit und die Zeitlosigkeit des Moments.“ (ebenda)

So bedeutet Puszta aus dem alt slawischen u.a. auch „leer“, was uns über die Gegenständlichkeit einer leeren Steppe zu der ihr entsprechenden Fülle des Geistesraumes, der Einheit von Fülle und Leere, der nicht Unterschiedenheit von „Ding und Betrachter“ bringt, wie dies im Zen Buddhismus als zentrale Erfahrung gilt. Eine Sicht und Erfahrung, die scheinbar nicht mehr der Niederung einer wie auch immer gearteten Wiedergeburt in die Ölwannen des Alltags erfordert.

Man hört dort die Welt nur von der Stille her und selbst dort wo nur Lärm dröhnt, besteht unendliche Stille als ihr Grund und Vorläufer, ja gebiert quasi Lärm. Die Stille, das noch nicht Gewordene, der Zustand vor der Geburt, metaphysisch betrachtet die Leere des Geistes, das Schweigen vor dem Logos, setzt erst jenen Raum, in dem sich die Welt der 10.000 Dinge die Fülle des Da-Seins entfalten kann, zu dem sich der Mensch überhaupt erst verhalten kann, „dem der Mensch entspricht“. (Heidegger)

Dieses Entsprechen, im musikalischen mit Resonanz bezeichnet, ist das Fundament Szabados’schen Wirkens. Zurück klingen, Echo sein des geistig überweltlichen, einer Verknüpfungsdynamik, bedingt durch gesteigerte Aufmerksamkeit dem als zeitlos gesetzten Geschehen in der Welt, die nur in ihrem weltlichen Verstanden sein, der Zeitlichkeit unterworfen ist.

Und ähnlich wie Scelsi hat sich wohl auch Szabados als eine Art Medium verstanden, der einer sphärischen Musik im irdischen zu ihrer Geburt verhilft, um von einem Ordo zu künden der sprichwörtlich überirdisch im Geistigen Raum seines eigentlichen Urgrundes wurzelt. [5]

Auch Scelsi war Improvisator, der allerdings einen Kundigen nutzte um die Klangtrauben die er des Nachts auf seinem Klavier und der Ondoline in ein Tonband hineinspielte, in weltgängiges Notenmaterial gießen zu lassen, was ihm bis zu seinem Lebensende 1988 den Vorwurf einbrachte, er sei ein Scharlatan und mitnichten zu einer Gilde hinzuzurechnen, die sich auf das componere verstehe, schriftlich niedergelegt und zu jeder zeitigem Abruf von vermarktungsentschlossenen und interpretierungswütigen Notensatz Restauratoren bereit.

Wenn das Irdische einen Sinn macht, dann nur in seinem Verhältnis zum Himmel, ohne den ein Da-Sein ohne Bezug- und somit dem Chaos ausgesetzt wäre.

Szabados zitiert Bartók und sagt, dass dieser mit Zahlen Mythisierende wohl recht hatte, als er bemerkte, dass die Musik aus einem Urozean komme, dass dieses keine chronologische sondern eine ontologische Angelegenheit sei.

Hier trifft sich zwanzigstes nachchristliches mit 5. vorchristlichem Jahrhundert, denn ähnlich Pythagoras, für den alles Zahl, also Verhältnis war, geht es auch hier, wenn auch in komplexeren Zusammenhängen, so doch um das rechte Verhältnis als bedingende Wirkkraft von Mensch und dessen authentischer Musik.

Soweit zu erinnern ist, begannen die Konzerte von Szabados meist mit fundamental einfachen Voraussetzungen, die über die Aufnahme von Resonanz und Einschwingung die Möglichkeit zu einer Entfaltung, zur jeweiligen Schöpfung seiner Welt, zum Drama des Augenblicks und die folgende Kultivierung durch seinen Gärtner (den Musiker) sich selbst und seine Zuhörer einlud. Meditation des Einfachen als Habitus und Voraussetzung für einen Entwicklungsprozess. [6]

Dass Puszta im bestimmten Kontext „unbebaut, brachliegend“ auch für unverheiratete Mädchen stand, gibt der Szenerie eine Richtung die uns zu dem Wort Jazz leitet, welches in seiner Ursprungsbedeutung „jass“ für tatkräftige Aktivität, wohl den Geschlechtsakt betreffend, also schlicht für Sex stand. So ist in diesem Betrachtungsrahmen die Welt des scheinbar trockenen Geistes, unmittelbar eins mit einer nur scheinbar gegensätzlichen Sphäre des körperlichen, hier Sexuellen. 

„Ein einziger Ton genüge, um eine komplexe musikalische Form zu entfalten“; so vernahm man Giacinto Scelsi zu seinen musikalischen Meditationen mit einem Ton, die ihn einmal in einer Lebenskrise geheilt haben. Vielleicht ähnlich wie bei Szabados, der erzählt: „Bereits als Kind, wenn ich traurig war, setzte ich mich vor das Klavier und habe improvisiert – damit habe ich mich getröstet“.[7]

Eine „stehende“ Landschaft, Stasis des Da-Seins, die vor Leben und Fülle bebt und vibriert und sich über das unvermeidliche Drama der Kinetik in die Existenz ergießt. Ohne Angst und in voller Annahme dessen was kommen mag.  

In der Sprache des Intervalls waren schlichte Schwingungsverhältnisse, Quinten und Quarten, später die None (sekunde) jene Verhältnisse die über den leeren Raum des Einfachen in die Fülle komplexerer Verhältnisse, in den Strom der Energie führte, dem die Ereignisse auf der transpersonalen Ebene folgen und in eine universelle Sprache münden. 

Form im Solospiel war für Szabados, der Spur seiner eigenen gelegten Samen im Wachsen zu folgen, aus der Kraft der Versenkung die Pfade des Unbekannten im Dunkel des Wurzelwerkes zu finden.

Die Gratwanderung eines Solisten, gerade wenn er quasi als Orchester die 10 Stimmen seines Klangkörpers bedient, macht ihn „anfällig“ für die Geste des allzu Vielen. Dieses All zu Viele wurde bei Szabados immer wieder rückgebunden durch das Praktizieren des Einen, des Themas, des Melos.

Thematische Arbeit beim Solospiel war für Szabados Enzymbildung, das antriggern von Sphären in denen er sich folgend und vertiefend „aufhalten“ konnte. Indes erscheint eben jene Praxis thematischer Arbeit bei starken und „ausufernden“ Improvisatoren oft als eine Art Kompromiss, sich trotz weitgehender Einigkeit der spontanen Gestaltbildung, wenigstens dem Rohmaterial zu versichern.

Das Spiel Szabados’ entwickelte nach der „Befreiung der Songform“ durch den sogenannten Free Jazz der 1960er Jahre und dem Übergang von modal basierter Improvisation, quasi mit auf den Weg gebracht, eine prozessuale Form ganz im Sinne oder besser in der Stilnachfolge europäisch konzertanter und auskomponierter Musik. Freilich kann „instant composing“ oder wie Szabados sagte Improvisität nicht 1:1 mit einer auskomponierten Struktur verglichen werden.

Da im balkanischen Raum Pentatonik und die musikalische Praxis in Modi weit verbreitet im Liedgut verwurzelt ist und bereits von Bartók als inspirierende Quelle für eine Fülle seiner Werke entdeckt wurde, lag diese Annäherung sprichwörtlich auf dem Weg für einen Musiker, dessen Arbeit früh schon identitären Anklang an seine Herkunft, mit einem kurzen Abstecher zu „Papa Bach“, aufzeigt. Man könnte sagen, dass der Blues des Balkan seine Volkslieder sind.

Darüber wird eine ganze menschliche Breite von Lebenssituationen, Gefühlen und auch manch praktische Einsicht transportiert, quasi eine natürlich schöne Art sich Selbsthilfe zu leisten. Lieder erzählen nämlich nicht nur Geschichten, sondern haben auch die Eigenart den aus der Mitte gefallenen Menschen zu restrukturieren, wenn er sich dem Klang und Rhythmus öffnet. Sie spendieren Hoffnung und Trost in einem oft harschen Alltag.

Weitaus komplexere Prozesse und Entscheidungsfindungen muss ein Spieler in diesem Sinne bewältigen, der sich vor allem mit seiner eigenen Dynamik, den eigenen Klischees, seinem „Repertoire des Nichtrepertoires“ während eines Echtzeitaktes konfrontiert sieht.

Geht er aufs Ganze, was für Szabados angenommen werden kann, setzt er sich einer Totalität aus in der Hoffnung sich durch die Widerstände seines „sich selbst Kennens” hindurch zu spielen, in einen energetischen transformierten Zustand durchzustoßen, der ihm die allzu bekannte Kontrolle auf „höhere Weise“ nimmt. Ein Mensch im Zustand der Trance gibt eben diese Kontrolle über allzu Bekanntes, zum Preis seiner Ich- und Bewusstseinskräfte auf. Es ist ihm ein Anliegen den Inhalt weitest möglich inkarniert zu haben, so dass er vom Intellekt „befreit“, in einen energetischen Bereich der Leichtigkeit des Spiels, zum „eines gibt das Andere“ und dem „nicht ich sondern es spielt“, durchdringen kann. 

Freies Spiel mag beim „frühen Szabados“, wie bei jedem Musiker der freie Improvisation für sich entdeckt, mehr oder weniger ausschließlich und phasenweise des Selbstausdruckes und persönlicher oder systemischer Befreiung gedient haben. Nachdem diese Phasen „abgearbeitet“ sind und der Weg vom personalen zum transpersonalen Aspekt der Musikausübung gegangen ist, werden oft andere (Sinn) Bezüge gesetzt.

Auch Szabados erzählt vor allem über seine frühen Jahre, sich selbst beeinflussend und inspirierend mit  amerikanischem schwarzen Jazz, insbesondere der freien Strömung, wo doch diese Musik, nichts anderes ist als eine generelle Befreiung hin zu seiner jeweilig eigenen Form und Art über Zeitdimensionen hinweg mit den Mitteln der Musik des 20 Jhdts. und der Energie verschiedener Musikstile und ethnischer Kundgabe der letzten Jahrhunderte.

György Ligeti kommt in einem Brief an Zoltan Bicskei (CD Sandmusik Homoki zene [8]) dem immerhin nahe, wenn er sagt, dass er „nie einen sich durch Jazz übertragenden und authentischeren ungarischen Ton gehört hätte. Dass dies nahe lege, dass Jazz als Sprache längst seinen Afro amerikanische Herkunft transzendiere und dass es möglich sei die „Jazz Sprache“ in jedem möglichen Dialekt zu sprechen.“ Hier schließt sich einer Betrachtung an, die vielleicht von europäischer Seite noch nicht genug in die Tiefe gedacht wurde.

Gängige Kritiken behandeln den sinnlichen Aspekt, eher das vordergründige, schließlich auch märktische Moment, nimmt aber selten Stellung, da oft verpönt, zu kulturgeschichtlichem Hintergrund. Außer in der Ferne, wenn es um die Selbstbefreiung der Sklaven durch ihre „work songs“ geht und den sich daraus entwickelnden frühen Jazz Stilen, wird der afrikanische Habitus mit einer Prädisposition zum Spirituellen angesprochen. Vielleicht später noch in den 70 Jahren als Vorstufe der „New Age Ära“, als „Spirit“ per se über ein merkantiles Zwischen- und Vorspiel zur späteren Verflachung des Wellness Abgrundes, diesem vorauseilte. Echte identitäre Besprechungen sind gerade im deutschen Raum selten, da sich dort einer mit Geschichte wirklich befassen müsste, was zu unerwarteten und unangenehmen, da Mainstream untauglichen Ergebnissen führen könnte.

Ein wesentliches strukturelles Merkmal des Spiels von Szabados ist seine hohe Integrationskraft. Free Jazz zu spielen ist eine mehr oder weniger geglückte Mischung  von Kontrolle und Entgrenzung zugunsten einer Umspielung und Dekonstruktion bekannter (Selbst) Klischees, unter zu Hilfenahme von strukturell- impulsiven Zugang des Umsetzungsapparates mit einem gewissen Vermeidungsverhalten, welches zwangsläufig, nach einer gewissen Erschöpfung, zur Erinnerung europäischer Tradition führt. Nämlich der Fähigkeit eines Menschen ein Instrument sprichwörtlich zu spielen und dieses nicht für einen vorher festgelegten oder erinnerten Ausdruck zu benutzen.

Nun entsteht hierbei die paradoxe Situation, dass ein mehr an Entgrenzung, will diese nicht in einem beständigen energetischem Allgemeinen landen, der Struktur oder gar Restrukturierung bedarf . d.h. wenn ein ästhetisches Geschehen imaginiert oder angestrebt wird, wird es sich der Prämisse der Integration, als strukturbildendes Moment in diesem Sinne stellen müssen, weil ansonsten das Ziel einer Gestalt, die über bloßen Selbstausdruck hinausgehen will, nicht zu leisten wäre. Es bliebe der Eindruck des puren Spiels der Energie, des Spiels der Kräfte, quasi das Rohmaterial einer nicht zu Stande gekommenen, aber erwarteten ästhetischen Qualität oder Form. In diesem prozessualen Zustand des „Free“, bündelt Szabados immer wieder auch unter Bezugnahme auf „das Einfache“, „das „Originäre“ (im Sinne ethnisch- musikalischer Erinnerung) die von ihm entfesselten Kräfte, das in Szene gesetzte Chaos, die aufgewirbelte Asche des Phönix, um dann einen strukturellen Prozess in Gang zu setzen, der dem Adepten, dem Zuhörer Orientierung und Wiedererkennen ermöglicht.

Allerdings immer wieder auch um diesen im weiteren Verlauf wieder zu dekonstruieren, aus der Erkenntnis heraus, dass Schöpfung immer auch Zerstörung bedeutet, da kreare die Entscheidung, ein „Scheiden von“, zwangsläufig voraussetzt.

Das Geschiedene bleibt als „Abfallprodukt“ zunächst unsichtbar, um später als Material wieder aufgenommen und mit in die bestehende Gestalt eingefügt, integriert zu werden.

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[1] Interview: Jazz auf ungarisch

[2] Homoki Zone Liner Notes

[3] Szabados György & Bicskei Zoltán

[4] in: Die Macht des Unsichtbaren, Musik Kult , Genius / Interview mit Régheny Tamás veröffentlicht 2003

[5] s.a. Interview: Die Macht des Unsichtbaren, Musik Kult , Genius / Interview mit Régheny Tamás veröffentlicht 2003

[6] s.a. Beginn des Konzertes mit MAKUZ 1.4.1993

[7] in: Zeit zur Muße

[8] Brief von G. Ligeti an Zoltán Bicskei

Die Absurdität, dass im Rahmen einer Reflexion von „Augenblick als Ewigkeit“ (v.v.), die Antwort bereits gegeben und die Frage ihres gestellt seins obsolet geworden ist, hält Menschen nicht davon ab, weiter zu bohren, als ob Erdmitte eine Sache von Bohrtiefe wäre.

Wenn man ein solches Vorgehen als Technik, (téchne im pädagogischen Sinne verstanden) beschreiben wollte, so wäre diese Erörterung vergleichbar einer Zen buddhistischen Metapher, die erzählt, dass der Meister während dem Reichen einer Tasse Tee, diese in dem Moment umkehrt (ausschüttet), als der Schüler danach greift. Der dahinterliegende maeeutische Gedanke, ist im Sinne der Plötzlichkeit einer Erleuchtungserfahrung, jene Gewahrwerdung einer unmittelbaren Ganzheit oder Identität von Fülle und Leere, welcher der Adept allerdings nicht habhaft werden kann. Der Bruchteil einer Sekunde setzt vormals Unterschiedenes ins Gleiche. Was bleibt ist das Paradoxe der Erfahrung die sprachlich schwer zu vermitteln ist und sich noch am ehesten durch das Pfingstgestammel der Apostel erahnen lässt, die einen Toten lebendig sahen. Und wer es nicht nachvollziehen will, kann immer noch zur Hilfskonstruktion zurückgreifen: Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben. Wenn es eine hintergründige geistige Botschaft oder gar einen „Erziehungsaspekt“ in Szabados Musik gäbe, so könnte es jener sein.

Erfreue Dich an der Schönheit der Welt, der sinnlich wahrgenommenen Phänomene, aber setze diese nicht absolut, sondern begreife (höre) sie als Hinweis auf eine Welt jenseits der Welt und gebrauche diese Sinnlichkeit als Brücke so lange Du kannst, denn die Brücke steht nicht immer zur Verfügung, sie ist dem Vergänglichen unterworfen. Sehe sie als Einladung in eine Welt „höherer Ordnung“, die unmittelbar in dieser Welt anwesend ist und diese gleichzeitig transzendiert. Durchdringe die scheinbare Unterschiedlichkeit von Fülle und Leere während Du eine Tasse Tee trinkst oder dein Instrument spielst. Sei gegenwärtig, jeden Augenblick, auch da, wo der Schmerz an dir nagt. 

Eigenzeit, ein Konzept welches der Performancekunst beigeordnet werden kann, ist ein anderes Wort für: Totale Konzentration auf ein vorhandenes Reservoir, Wissen und er übte Kapazität eines Wesens, zu Gunsten einer Spontaninszenierung, welche diffus „vorgewusst“, jetzt einem Spielraum zugeführt wird. Dies geschieht in vollem Risiko eines „Konzentrationsverlustes“ des Anwendenden, der dann, da er sprichwörtlich Nichts an üblicher Ausstattung der Schriftlichkeit oder Fixiertheit hat, „im Regen“ stehen würde.

Andererseits lebt Eigenzeit von Authentizität, der Kunst Unwahrscheinliches zu wagen, ein inneres Programm, welches man die „Mechanik des plastischen Fließens“ [1] im eigenen Gewässer nennen könnte.

Diese Authentizität ist sich der Tatsache des Abrisses eines Stroms und damit einer Unterbrechung des Gestaltungsgeschehens wohl bewusst, nimmt die dadurch entstehende Reibungs- und Bewertungsenergie allerdings zum Anlass, einen Neustart im laufenden Geschehen zu wagen. Das ist der wesentliche Unterschied zwischen Unterhaltung und echter Performance, an dem sich der Künstler zu messen hat. Aufhören oder noch schöner gestalten geht nicht. Der Fehler wird zur Feder gedrillt, die es dem Adepten erlaubt sich noch weiter in sein Geschehen hinein „abzustoßen“. 

Denn gerade die Improvisation ist, obwohl da, schon wieder weg, obwohl konkret, doch ephemer, genauso wahrnehmbar wie unwahrscheinlich.

Ein Lehrstück geistiger Einsicht der Wandelbarkeit der Existenz, mit Hinweis auf eine dahinterliegende oder besser eine dieser immanenten Matrix des Lebens selbst. Das Spiel des Lebens mit sich selbst. Die dabei gewonnenen ästhetischen Erfahrungen sind nicht Ziel, was Unterhaltung wäre, sondern quasi die Steine der Wegpflasterung dorthin. Allerdings würde Szabados warnen den kultivierten Selbstausdruck im Sinne einer „neuen Sakralisierung“ ohne Anbindung, ohne „Religion“ auch je einem dem Adepten entsprechende zu praktizieren. Mit anderen Worten. Das Göttliche im Selbst zu entzünden braucht den Gott. Der Fülle in der Leere und der Leere in der Fülle gewahr zu werden braucht Vorangegangene, die Lehrer, die sich zwar nicht als Götter gerieren sollten, aber dennoch eine Instanz der Erfahrung bilden, an dem sich der Schüler „abarbeiten“ und entwickeln kann.

Die Frage der Religion dabei ist eine denkbar intime und private, da eine Musik der Freiheit schwerlich einen Kodex an Glaubensmaximen aufstellen kann. Religion hier meint, wie schon früher ausgeführt eine Rückbindung an eine eigene Erfahrungswelt in der Sphäre des Numinosen, mithin die übersinnliche Kategorie des schwer Fassbaren, aber dennoch gegenwärtigen. Um nicht in den Verdacht einer Überlagerung des Religiösen zu kommen sei damit genug gesagt. Re-ligere ist privatere auf dem Weg zum Marktplatz.

Insofern ist aus Szabados Sicht jeder aufgerufen sich auf den Weg zu machen in einer unbedingten Anbindung an die Öffnung des eigenen Prozesses hin zur Transzendenz unter „Zuhilfenahme“ von Vorangegangenem im Vertrauen und Glauben auf deren universalen Gültigkeit. Szabados Musik ist insofern Ansprache und Reminiszenz. Anklang und Erinnerung über das Sinnliche, das Geistige in der Welt wahrzunehmen, oder musikalisch im Stile des Zen ausgedrückt: Die Ununterschiedenheit von Impuls und Ton zu vergegenwärtigen. Jeder auf seine Art, jeder an seinem Ort, jeder mit seinem Instrument, seiner Berufung.

Szabados wollte sicher nicht eine Art metaphysischen Trost spenden, den er (nach Nitzsche) vielleicht als idealistischen Selbstbetrug bezeichnet hätte. Sein Wirken war und ist Aufforderung einen Weg und Wagnis der Aktualisierung der Dynamik des Schöpfungsprozesses immer wieder von neuem zu begehen, eine Aufforderung die unseren ganzen existentiellen Einsatz voraussetzt, die Hingabe an die Übung als Möglichkeit einer Heilwerdung. Seine Musik ist eine Einladung hierzu.

[1] nach einem Buchtitel von H. Lippmann, Springer Verlag Berlin , Heidelberg, New York

Indem Szabados in einem Interview [1] über die Zersplitterung einer vormals anderen Zeit um die Epoche der französischen Revolution spricht, erkennt er am Beispiel von Beethovens Eroica die damals möglicherweise aufsteigende Not, die sich unter fulminanter Entwicklung des (All) zu Vielen zu Lasten „des Einen“ vollzog und vergeblich eine musikalische Rückbindung mit neuen Mitteln versuchte, um dem Dilemma eines Verlustes des „Geistes aus dem Einen“ zu entgehen.

Ein Weg den Szabados noch in dem Versuch der Darmstädter Schule sieht, nach der „Hybris des Vielen“ wieder anzuschließen an Ursprünglicherem. Vielleicht wäre Morton Feldman’s „music for bunita marcus” hier zu nennen oder auch dessen Freund John Cage, der sich intensiv mit Zen-Buddhismus beschäftigt hat und wohl auf seine Art aus diesem Geist lebte und zu arbeiteten versuchte, die Szabados als Alternative zu einer vordergründigen „Heillosigkeit des everything goes“ möglich gewesen wäre.

Der theologische Bereich ist seit je „grundvermint“ und seit mehr als 3000 Jahren inflationär besetzt, da die Diskussion um das Viele und das Eine kein Ende findet und den Anfang im nicht mehr zu scheidenden Einen visioniert, ohne ihm je habhaft zu werden. Dies ist die Prämisse des Künstlers der in seinem Schaffen die ersten und letzten Fragen überhaupt als Voraussetzung sieht.

Bei Szabados stellt die Welt des Vielen, der Polytonalität, der energetisch aufgeladenen Cluster, der kontrapunktischen Entwicklung einfacher Bögen, die er melismatisch weiter spinnt, keine Frage einer Hybris dar, sondern diese wird im Rahmen seines Spiel, innerhalb einer Materialdurchführung, in eine neue Zuwendungsqualität zu Klang und Rhythmus umgewandelt. Szabados treibt auf dem Teppich den er bei bestimmten Stücken mit der linken Hand webt, den Turmbau zu Babel voran, der sich in der Vision verlor, dass alle Menschen, sowieso schon gleich der Spezies nach, doch gleich auch die gleiche Sprache sprechen könnten. Die Erkenntnis, dass Alle „gleich bunt“ sind, führte dann allerdings zu dem heute als „Diversity Management“ bekanntem Syndrom, welches die Gleichheit der Verschiedenen für alle verbindlich regeln will und so den Turmbau der Moderne wie ein virtuelles Konstrukt aus der neusten Apple Werbung erscheinen lässt.

Wer sich nicht in das gemanagte Sein der Verschiedenen gleichmäßig einreiht, scheint grundverdächtig.

Zu diesem Ausscheren aus dem Zeitgeist, zählt auch das „Ausbrechen“ der Sprache und der Laute während Szabados Spiel, welches eine unmittelbare Steigerung ist, sozusagen eine Rückführung der Musik in den dunklen Urgrund ihres Entstehens einer archaischen Zeit, wo Sprechen zur Urform eines kulturellen Aktes wird, den Szabados als Mitteilung des je Eigenen in der einen Welt und jenseits von Abgrenzung sieht. Dort könnten sich Szabados und Heidegger treffen, wenn dem Philosophen die Worte zur Musik entschwinden und dem Musiker Klang und Impuls zur Sprache wird. 

In einer Aufnahme vom 12. November 1993 (ab Minute 38:10) [2] schwingt sich Szabados in eine Stasis ein, die an Orchesterwerke des 5 Jahre zuvor in Rom verstorbenen Giacinto Scelsi erinnert, allerdings um gleich darauf diese mit einer polytonalen Textur zu verwerfen und anschließend wieder in die Welt der Oktaven und kleinen Nonen, die am Flügel schwer darstellbare Schwebungen implizieren sollen, wieder zurückzukehren. Er springt also von der einen musikalischen Maxime in die andere und verdichtet diesen Erzählfluss indem er mit dem „Ausbruch“ seiner Stimme schließlich aus einem tranceartigen Zustand sich selbst, die Musik, den Flügel und die Welt bespricht.

Fürst Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoy, der Begründer der Phonologie und früher Kritiker eines eurozentristischen Machtgehabes [3], hätte seine Freude gehabt bei einem Entschlüsselungs- und Deutungsversuch des Szabados’schen Phoneminventars, seinen kabalesk- kabbalistischen Codes, die ihn, noch während der Flügel brummte, wie einen xenoglossischen Wanderer zwischen der Welt des Sichtbaren und seinem Pendant, einem magischen Reich des Sakralen erscheinen ließen. Seine pfingsthafte Besprechungen des Unsagbaren, welche aus dem Schweigen des Virtuosen emporstieg, war in eine kabukihafte Stimmung getaucht, in welcher er, als Verkörperung des Kreises, die 2 energetisch-universellen Prinzipien des Ying und Yang in sich miteinander in ein Dialogdrama des Ausgleichs treten lies. Europäisch gesprochen war es vielleicht der Widerstreit und Seelenkampf, gleich dem Psychomachia des Prudentius [4], in dem die Kräfte in eher personalisierter Form zu Gunsten eines dramaturgischen Entwurfes hervortreten mögen.     

Dabei wurde verstehbar, wie Sprache, als ein sich weiterführendes Element von Atem und Logos, ausgehend und verbunden mit einer archaischen Sphäre, nach und nach einen Gestaltungsweg in ein Sinnerfülltes Jetzt bahnen kann. Die Re-ligio an diesen Ursprung, hier über das scheinbar Nonsens hafte Palavern zweier Prinzipien durch eine Person hindurch, war nichts anderes als das Stammeln des von heiligem Geist durchströmten Jüngers der Erfahrung des Unsinnlich-, weil Geistigen. Auf einen personifizierten Level „heruntergebrochen“: Die Erzählung von der Auferstehung des Herrn.

Dass in der allgemeinen Bedeutungsverwirrung und differenzierungslosen Sprachschwäche heutzutage, der Ausdruck und die Kommunikation mit- und über die Musik eine existentielle Alternative darstellen könnte, ist noch nicht wirklich verstanden. Identitäre Bewusstseinsbildungen als Prinzip und Grundlage von Verortung in der Welt, werden zunehmend zugeschüttet von „neuen Strategien des Gleichmachens“ gerade unter dem Aspekt der Toleranz gegenüber nahezu allem, an dessen Ende das „diversity management” einer sich selbst unbewussten und Menschen entkernten Spezies steht.

Szabados war ein „Gegenentwurf“ hierzu.

[1] Die zeitlose Botschaft der Improvisation

[2] Szabados György Solo – Budapest, November 12, 1993 playing “A Szent Főnixmadár dürrögései”

[3] s.a. „Europa und die Menschheit“ v. Fürst Nikolai S. Trubetzkoy, Drei Masken Verlag München 1923

[4] Psychomachia

Kurze Antwort. Er braucht es nicht.

Da er im Reservoir der balkanischen Volksmusiksphäre in einem Heimspiel genug Blues vorfindet, der ihn von daher seinen Weg in der Zeitlosigkeit weiter weisen wird. Die spezifische Innerlichkeit, da Gefühlsbetontheit des Einfachen und Leidenden, die wir im Blues finden, wird letztlich in allen Volksmusiken gespeichert. Dass es einer amerikanischen Variante nach dem großen Desaster bedurfte, um europäische musikalische Sprache mit der Improvisation wieder bekannt zu machen, ist eine zeithistorische und eminent wichtige Tatsache.

György Szabados ist wohl einer jener wenigen Musiker und Komponisten, die eine auch in ihrem musikalischen Wirken gelebte Verbindung von „transhistorischem” bis zur Antike und darüber hinaus reichende, wie auch jener jüngeren Geschichte Europas gesucht hat, die nicht immer in den Geschichtsbüchern steht, oder vom aktuellen Mainstream gerne so gesehen werden würde.

Er hat den Typus des universellen Musikerkomponisten, nach langem verschüttet sein, durchaus auch aus der Identitätskrise aktueller Musik wieder hervorgehoben und ins Lebendige gebracht und über sein Wirken vor allem auch mögliche Impulse für nachkommende Generationen gesetzt.

Diese Impulse aufzunehmen ist nicht leicht, da die Einflüsse aktueller medialer „Kulturvermittlung“ massiv einen „Diskurs des Eigenen und Originären“, dem Graben nach einem nicht fremdverordneten oder aufgesetzten Curriculum, schwieriger denn je macht.

Der Code der Ahnen im direkten wie im übertragenen Sinne, ist deswegen nicht einfach ein abgestandenes Bier neuzeitlicher Sozialwissenschaft, sondern ein hochprozentiger Obstler, der uns nur dann erwärmt und begeistern wird, wenn wir auch in den dunklen feuchten Keller der Musikgeschichte, oder in ganzheitlicher Geschichte überhaupt, hinab steigen. Dort liegen, neben allem möglichen Plunder der Interpretation und Klitterung, immer noch in den letzten Winkeln verborgen, jene morphogenetisch gespeicherten Phoneme, die auf ihre Hebung und Aussprache warten. Erst wenn wir dies geleistet- und sie zum Klingen gebracht haben, können wir auch in unserer heutigen, sehr veränderten und schwachen Sprache der Oberfläche, halbwegs vor jener Verwicklung sicher sein, die uns selbst und andere einer ungewollten Täuschung zuführt.

Dies ist kein einfaches Unterfangen. Dass über diesen Weg des Nachhorchens und Nachdenkens, den Weg des Kultus und Respekt gegenüber Ursprünglichem und quellenhaften, mehr als nur Referenzen und Wegmarken, sondern auch einzigartige Musik zur Erbauung und Hoffnung entstehen kann, hat uns György Szabados vorgespielt.

Hubert Bergmann, July 2016

gewidmet György Szabados

DUX  [1]

„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

.

COMES [2]

„[…] Eine Mitte ist, was sowohl selbst auf etwas anderes folgt als auch etwas anderes nach sich zieht.“

[1]  Friedrich Schiller, Über die Ästhetische Erziehung des Menschen

[2]   Aristoteles, zur Poetik Ab. 7

 

CODA      (zur Erinnerung wie nah Originäres und „Gefälschtes“ beieinander liegen…)

“Goin’ home, goin’ home, I’m a goin’ home;

Quiet-like, some still day, I’m jes’ goin’ home.

 

It’s not far, jes’ close by,

Through an open door;

Work all done, care laid by,

Goin’ to fear no more.

 

Mother’s there ‘spectin’ me,

Father’s waitin’ too;

Lots o’ folks gather’d there,

All the friends I knew,

All the friends I knew.

Home, I’m goin’ home!”

William Arms Fisher, Lyrics [1], als Spiritual (auch für Film soundtracks) adaptiert für:

Antonín Leopold Dvořák’s* 9. Symphony, Largo, aus der neuen Welt

* der inspiriert war von Henry Wadsworth Longfellow’s „Das Lied von Hiawatha“ [2] und wohl auch von der nostalgischen Erinnerung an seine bömische Heimat. Dvorak sollte im Auftrag  der Mäzenin Jeannette Thurber eine Art amerikanisches national Idiom in der Musik kreieren. Die Geschichte Longfellow’s wurde im 20 Jhdt. von Hollywood’s DISNEY für einen Comic Strip [3] adaptiert. Damit wurde vorgeführt, wie die Geschichte der Vertreibung und Tilgung einer Ursprungs Kultur, über Zwischenschritte zu einer massenmedialen Humoreske verarbeitet wird, um Geschichte „zu unser aller Belustigung“ um- oder neu zuschreiben. Für € 3,50,- im Micky-Maus Heft am nächsten Kiosk.

Das Originäre guter Musik aber, bleibt.

[1] Ursprung des Textes und Adaption

[2] Lied der Hiawatha

[3] Comic Strip: Klein Adlerauge

Erich Zenger, Israel am Sinai ,CIS Verlag, Zitat in:Im Schatten des Sinai, P. Sloterdijk, Suhrkamp Verlag 2013

Schiller:  Über die ästhetische Erziehung des Menschen

Novalis Fragmente Kapitel 23

Interview in der NZZ 2013

Die zeitlose Botschaft der Improvisation

Liner Notes: Homoki Zene

Béla Hamvas und die Musik S. 2

Alexander in: „Opfer“ von Andrej Tarkowskij

„Stalker“ Film von Andrej Tarkowskij

Peter Sloterdijk „Im Schatten des Sinai“ / Kap. 1, Verkleinerung der Kampfzone

  1. Sloterdijk, Du musst dein Leben ändern, Suhrkamp 2009
  2. Sloterdijk ebenda, Anmerkung 6, Im Schatten des Sinai

„Brotherhood of breath“ CD Titel des südafrikanischen Musikers Chris McGregor

Herz Sutra

St. Gallener Klosterplan

Liner Notes zu The Land of Boldogasszony / Boldogasszony földje

Going Home, Albert Ayler

Antonin Dvorak Largo 9. Sinfonie

Audio Datei: Nr. 5 “the land of Boldogasszony”

Die Macht des Unsichtbaren, Musik Kult , Genius / Interview mit Régheny Tamás veröffentlicht 2003

Georg Orwell in: 1984 / S. 308

Die geheime Geschichte der Ereignisse

Bill Domonkos / Tchaikovsky, Nocturne

Feruccio Busoni wikipedia

Konzert am 10.04.1986, Schloß Johannisburg

 Martin Schulz in Iran, Versuch über Heraldik

Hubert Bergmann u. Rols Rolf Langhans, Performance Poems

Deklamation in: „the secret history of the events“

Die Poesie und die poetische Welt

Martin Heidegger und Thai Mond Bhiku Maha Mani

Interview: Jazz auf ungarisch

Szabados György & Bicskei Zoltán

Beginn des Konzertes mit MAKUZ 1.4.1993

Zeit zur Muße

Brief von G. Ligeti an Zoltán Bicskei

nach einem Buchtitel von H. Lippmann, Springer Verlag Berlin , Heidelberg, New York

Szabados György Solo – Budapest, November 12, 1993 playing “A Szent Főnixmadár dürrögései”

Europa und die Menschheit. Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoy, 3 Masken Verlag München 1923

Psychomachia

Lied der Hiawatha